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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin
Autoren: Sarah Khan
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Wasserrohr, nur einen Kohleofen. Maria, die beim Aufwischen half, sagte, dass das Wasser nach Meer und Muscheln roch. Dass die Mitbewohnerin im Mittelmeer ertrunken war, erfuhr die WG erst einige Tage nach dem Unglück. Da betraten sie ihr Zimmer noch einmal, auf der Suche nach einem Hinweis. Sie fanden einen Zettel über dem Grabkreuz, in ihrer Handschrift, irgendwas von Rilke: »Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.« Maria kannte den Satz gut, der Tod ist groß – DTIG. Nicht wenige Grufties hatten sich die Buchstaben auf ihre Jacken oder Hemden gemalt. DTIG. Sie entfernte den Zettel, um die Eltern der toten jungen Frau zu schonen. Maria beschloss, das Kreuz zurück auf den Friedhof zu bringen. Aber das Zimmer war inzwischen ausgeräumt. Das Kreuz verschwunden. Sie wissen nicht, wo es sich heute befindet. Silke hofft nur, dass es nicht wieder geschieht.

Wieso verwunschen
    Mit den Grabstellen auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße ist es wie mit manchen Immobilien: Exklusiv ist gar kein Ausdruck. Urnen sind zwar kein Problem, aber wer hier erdbestattet seine letzte Ruhe finden möchte, muss einen Antrag an die Akademie der Künste richten, die hat Belegungsrechte. Oder man wendet sich direkt an den Berliner Senat. Doch sollte man es zu Lebzeiten möglichst zu etwas gebracht haben, um sich für die Nachbarschaft der deutschen Intelligenzia zu qualifizieren. Auf diesem legendären Friedhof liegen Anna Seghers, Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Heiner Müller und Thomas Brasch. Und das sind nur wenige Beispiele für die besondere Klasse der hier versammelten Toten.
    Gar nicht begeistert war die erfolgreiche Geschäftsfrau Minna Mohn, als sie entdeckte, dass die neu gemieteten Räume ihrer expandierenden Agentur genau an die Friedhofsmauer grenzten. Sie hatte schon einmal schlechte Erfahrungen mit einem verfluchten oder zumindest zutiefst unglücklichen Haus in Kreuzberg gemacht und hatte keine Lust, sich wieder so ein Ding ans Bein zu binden. Damals häuften sich die bizarrsten Vorkommnisse und Ärgernisse, die selbst die Handwerker und Putzfrauen das Fürchten lehrten. In verschlossenen und alarmgesicherten Räumen wurde wiederholt jemand gesehen, Dinge verschwanden und ständige Streitigkeiten vermiesten die Stimmung unter den Mietern. Und den Keller durfte man gar nicht erst betreten. Mit Hilfe diverser Archive und einem malaysischen Feng-Shui-Großmeister fand MinnaMohn damals heraus, dass in jenem Haus, das zu einem Medien- und Kreativstandort hätte ausgebaut werden sollen, viele junge Menschen im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter hatten leiden und sterben müssen. Wegen der ständigen Ärgernisse zog sie aus und saß plötzlich mit ihrem Schreibtisch an einem Fenster kurz über der Friedhofsmauer, von wo aus sie die Bestattung von Altbundespräsident Johannes Rau beobachten konnte. Da fasste sie einen Entschluss: »Bevor ich mir wieder so ein Ding ans Bein binde, kläre ich das.« Kein Zweifel, Frau Mohn ist eine willensstarke und vollkommen strukturierte Frau, und sie interessiert sich zwar für Feng Shui, eine lebensweltliche Beratung auf Grundlage von Astrologie, Architektur und Geologie – aber sie warnt: »Es gibt viel Hokuspokus auf dem Markt.« Ihr Berater, den sie abermals hinzuzog, war besagter Großmeister Yap Cheng Hai, ein international tätiger, über achtzigjähriger Geschäftsmann, der für asiatische Banken, Regierungen, aber auch Konzerne wie CNN-Istanbul arbeitet. »Ein Mann ohne Walla-walla, in feinstem Anzug, handgenähten englischen Schuhen, ein Millionär«, sagt Frau Mohn. Im Rahmen eines internationalen Feng-Shui-Kongresses, der in Berlin stattfand, hatte er ihr neues Haus in der Chausseestraße als Vortragsobjekt ausgewählt. Ohne Kenntnis der lokalen Gegebenheiten schwebte er mit einer Expertendelegation ein. Zunächst schüttelte er den Kopf, und seine Delegation gleich mit ihm – direkt am Friedhof! Also nein! »Für Asiaten geht das gar nicht«, sagt Mohn. »Man lebt oder arbeitet nicht an einem Friedhof. Aber wir sind ja nicht in Asien.« Yap Cheng Hai also machte seine Berechnungen und begab sich auf eine Trancereise. Sie dauerte nur Sekunden. Als er aufwachte, fragte er die Experten nach ihrer Meinung. Diewaren sich ganz einig, dass der Standort nicht funktionieren könne, eine Friedhofsgrenze als Arbeitsplatz, einfach unmöglich. Doch
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