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Die Gespenster von Berlin

Die Gespenster von Berlin

Titel: Die Gespenster von Berlin
Autoren: Sarah Khan
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provozieren. Ohne Anne klappte es nie, und mit Anne war es immer wunderbar und schrecklich. Aber nach dieser Erfahrung schwor Anne, damit aufzuhören. Geisterbesuch in der eigenen Wohnung sei viel zu heftig, und man solle überhaupt keine Geister mehr rufen, denn man wisse ja nie, wer da komme und was er mitbringe. Sie habe endgültig verstanden, sie könne zwar anlocken, aber nicht kontrollieren. Also abgemachte Sache, nie wieder Geisterbeschwörung. Aber dann passierte die Geschichte mit der komischen Frau, die wie Anne auf dem Flohmarkt Klamotten verkaufte und sich an sie ranschmiss. So überfreundlich, so künstlich, so außerordentlich verdächtig lud sie Anne und ihre Clique zu sich nach Hause ein. Da konnte Anne nicht anders, wollte unbedingt ihre Muskeln zeigen, nahm ihre Freunde und eine Flasche Wein und schlug bei der Komischen auf. Die Komische wollte sich über den überraschenden Besuch freuen, da unterbrach man ihren Redefluss und sagte: Räum mal deinen Tisch ab, den brauchen wir jetzt. Das Glas kam umgedreht in die Mitte, das Alphabet und die Zahlen drum herum, sie hatten alles mitgebracht. Jeder legte sachte einen Finger auf das Glas. Die Komische wollte nicht mitmachen, sie bekam furchtbar Gruselschiss, aber man sagte ihr, sie solle nicht so langweilig sein. Anne rief die Geister. Und schon hatte sie einen Geist im Glas. Zunächst fragten sie ihn der Reihe nach belangloses Zeug.
    »Großer Geist, willst du mit uns reden?«
    »Ja.«
    »Bist du ein guter Geist?«
    »Ja.«
    »Ist es schön da, wo du bist?«
    »Kalt.«
    »Wie heißt du?«
    »Ludwig Brenndecker.«
    »Seit wann bist du tot?«
    »1952.«
    »Wie alt warst du, als du starbst?«
    »57.«
    »Was warst du von Beruf?«
    »Krüppel.«
    Kaum fängt die Komische zu kichern an, kommt Anne auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen.
    »Ist hier jemand im Raum, der für die Stasi arbeitet?«
    »Ja.«
    »Ist der Raum verwanzt?«
    »Ja.«
    »Kannst du mir zeigen, wo?«
    »Ja.«
    »Wenn ich in die Ecke gehe, wo die Wanze ist, sag ja.«
    Anne steht auf und schreitet den Raum ab. Als sie in der Ecke mit der Vitrine steht, meldet sich der Geist wieder: »Ja!«
    Auf der Vitrine steht ein Radio. Anne fasst nach dem Radio und schüttelt es.
    »Hier drin?«
    »Ja.«
    Anne setzt sich wieder an den Tisch. Die Komische ist leichenblass. »Raus aus meiner Wohnung!«, schreit sie. »Aber sofort!«
    Aber sie gehen nicht, machen weiter.
    »Weißt du die Telefonnummer der Leute, die uns gerade belauschen?«
    »Ja.«
    »Kannst du mir die geben?«
    Die Nummer, die der Geist ihnen gibt, ist fünfstellig und beginnt mit einer Drei. Die Dreier-Nummern waren die Stasi-Nummern in Magdeburg. Welch ein Triumph für Anne. Sie hatte Fähigkeiten, auf die die DDR nicht vorbereitet war. Welch ein Jubel. So glaubte sie, obwohl der Tod ein Gedanke blieb, die Flucht würde ihr gelingen. Ein anderes Leben wartete auf sie, eines ohne Gitter. Sie musste nur aufbrechen.
    Vor der Flucht unternahm Anne zwei Reisen. Die eine führte sie nach Prag zum Grab von Franz Kafka, und die andere nach Schloss Goseck in Thüringen. Dort wollte sie ein letztes Mal mit Freunden zusammen sein. Sie wollten wandern, trinken, lachen. Seit Jahren schon nahm sie Abschied in einer qualvoll langsamen, bedrückenden Entwicklung, ohne sich mitteilen zu können. Der Abschied in Goseck sollte anders sein, Kraft spenden. Jetzt ist das Schloss Goseck saniert, eine denkmalgerechte Toilettenanlage wurde eingebaut, es gibt einen Tango-Frühling, archäologische Ausgrabungen und Konzerte. Aber damals in den 1980er Jahren der DDR war das Burgschloss halb verrottet und der nagenden Zeit überlassen. Der größte Teil des Schlosses war verschlossen und verstaubt und lag da wie im Dornröschenschlaf. Eine kleine Jugendherberge gab es in einem Seitenflügel, dort wohnte Anne mit ihren Freunden. Die Ausstattung dieser Herberge ist Anne als trostlos in Erinnerung. Teppichbelag, Leichtmöbel und abwischbare Plaste-Oberflächen, ohne jedes Schlossgefühl. Einmal machte die Gruppe heimlich eine Runde durch den abgesperrten Teil. Die meisten Zimmer waren verschlossen, aber mit einem Dietrich und etwas Gefummel bekamen sie die Türen auf. Anne machte sich ein Spiel daraus. Bevor sie eine Tür öffnete, beschrieb sie das Zimmer dahinter. Vor der verschlossenen Tür stehend zählte sie auf: Links der Kamin, das Eisen liegt auf dem Sims und der Knauf ist angeschlagen, das Fenster ist grün, in der Mitte steht eine Säule. Oder: Ein
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