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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Autoren: Maria Waser
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verschwanden, während die beiden Herren sich im Eßzimmer niederließen.
    Der Amtmann schaute sich prüfend in der schönen, schwer getäferten Stube um, die man zu Ehren des Gastes mit einer reichlichen Kerzenbeleuchtung bedacht hatte. „Ihr habt eine schöne Behausung, Herr Werner,“ sagte er, indem er sich steif in den hochlehnigen Stuhl setzte.
    „Es ist die einzige Wohltat,“ erwiderte dieser nicht ohne Bitterkeit, „die mein lieb Vaterland mir erwiesen, und auch sie habe ich nicht der Stadt, wohl aber dem hochedeln Kommandanten Franz Emanuel von Bonstetten zu verdanken, der mir diese seine Behausung gleichsam in Erinnerung schöner, gemeinsam verlebter Tage in Versailles und wohl auch eines besonders glücklichen Contrefaits 13 , das ich ihm zu damaliger Zeit von einer zarten Freundin vollführt, gnädig und billigst überlassen hat Es scheint übrigens dieses Haus,“ fügte er mit einem feinen Lächeln bei, „für fahrend Volk, Schulmeister und Künstler, zu welchen allen Kategorien ich mich füglich rechnen darf, prädestiniert zu sein, dieweil es im vierzehnten Jahrhundert einem Juden, im fünfzehnten einem Schulmeister, im sechzehnten aber einem Bildhauer zugehörte, nämlich dem trefflichen Erhard Küng, demselben Meister, wessen das Jüngste Gericht über der Münsterpforten, ein für damalige Zeit höchst lobenswertes Werk. Von ihm ging das Haus in die zarte Hand der edeln Eva von Bubenberg, des großen Adrian Tochter, über, was Euch beweisen mag, daß auch das fürnehme Frauenzimmer an dieser Behausung sein Gefallen finden kann. Mir ist sie sonderlich lieb geworden und hat mir über manche Bitternis hinweggeholfen, die mir mein liebes Bern kredenzet.“
    „Ich wundere mich,“ nahm der Amtmann mit forschendem Blick das Wort, „Euch eben jetzt und zu mehreren Malen mit schier erzürnten Worten über Eure edle Vaterstadt reden zu hören, dieweil ich vernehme, daß sie ihr Rathaus von Eurer Hand aufs schönste hat schmücken und dadurch doch wohl ihre hohe Anerkennung Eurer Kunst deutlich genug merken lassen.“
    „Schöne Anerkennung!“ rief Herr Werner mit bitterem Lachen. „Zum halben Preise habe ich ihnen meine beiden großen Schildereien, die Fürsichtigkeit und die Gerechtigkeit, die ich mit sonderlicher Liebe und Kunst ausgeführt, überlassen wollen und damit meiner Vaterstadt ein Geschenk zu geben vermeint. Aber was glaubt Ihr? Die mindern siebzig Dublonen, die ich verlangte, haben sie mir auf fünfzig heruntergedrückt und dadurch ein gar köstlich Beweistum ihrer hohen Schätzung meiner Kunst geliefert. Oh, schäbig, schäbig! Glaubt, daß ich das schmutzig Geld lieber in den Aarfluß oder den edeln Herren vor die Füß geworfen hätte. Aber da ich selbstwillig das Glück, das ich an äußern Orten genossen, aufgegeben und mich hier festgesetzt hatte, mußte ich mich der gestrengen Hand ducken. Es ist mir bitter genug bekommen; denn ich war von geistlichen und weltlichen Fürsten wie von Privatpersonen anderes gewohnt gewesen und hatte auch von meiner lieben Vaterstadt, in die mich eine schier kindische, übergroße Liebe nach so langem und — wohl darf ich sagen — ruhmvollem Fortsein gezogen, anderes erwartet. Ja, ja, es ist schwer, wenn man mit Lorbeeren heimkehrt und vom eigenen Vater mit der Ruten empfangen wird!“
    Trübsinnig stützte Herr Werner sein dunkles Gesicht in die Rechte, während seine Augen ins Leere schauten und sich um des Amtmanns kluge und begütigende Worte wenig zu kümmern schienen.
    Da ertönte plötzlich eine zarte fremde Musik, die mit feinen Saitentönen und den fast zu schmelzenden Klängen einer menschlichen Stimme unwirklich, unbegreiflich, irgendwo von draußen, irgendwo aus der freien Luft hereinzudringen schien.
    Verwundert, fast erschreckt horchte der Amtmann auf, während Herr Werner mit einem plötzlich veränderten glücklichen Gesicht sich im Stuhle zurücklehnte, lächelnd, die träumenden Augen von den untern Lidern halb bedeckt, wie bei einem starken, seligen Genuß.
    „Das war Giulio,“ sagte Herr Werner mit einem glücklichen Seufzer, als der letzte Ton in einer langen Kadenz verklungen war, „mein guter Giulio, der auf der Gartenmauer irgendeiner Sehnsucht sein Abendständchen bringt. Das war die Jugend … Seht, Herr Amtmann, das ist die Jugend, die mir zu so vielen Malen immer wieder das Herz froh gemacht und die Bitternis verscheucht hat. Darum hab’ ich mich auch mit diesen Lehrjüngern umgeben, wenn schon sie mir eine teure
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