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Die Geliebte des Normannen

Die Geliebte des Normannen

Titel: Die Geliebte des Normannen
Autoren: Brenda Joyce
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blutete stark am Bein. Mary hasste den Anblick von Blut, aber sie wandte sich dennoch nicht ab. Sie konnte es nicht. Denn sie blickte auf einen Mann, den sie schon einmal gesehen hatte und der ihr seither nicht mehr aus dem Sinn gegangen war.
    Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer, ihr Mund wurde ganz trocken. Hätte sie ihn nur vergessen können. Vor zwei Jahren, in Abernathy, hatte er hinter seinem verderbten König William Rufus gestanden; er hatte dessen flammendroten Haarschopf überragt. Seine Gesichtszüge erschienen maskenhaft und hart, während der König sehr selbstgefällig gewirkt hatte. Und im Schmutz zu Rufus' Füßen hatte ihr Vater gekniet, Malcolm, der König von Schottland, und war mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden, dem englischen König Treue und Ergebenheit zu schwören.
    Mary war damals – natürlich in Verkleidung – die einzige anwesende Frau gewesen; weibliche Wesen hatten bei derartigen Ereignissen nichts zu suchen. Es handelte sich um das Aufeinandertreffen zweier Armeen, nachdem Malcolm einmal mehr versucht hatte, Northumberland zu erobern. Sie befand sich inmitten eines großen Teils der schottischen Streitkräfte, die ihrem Vater treu ergeben waren. Doch deren Zahl erschien erbärmlich im Vergleich zu dem Heer, dem sie gegenüberstanden – dem grausamsten im ganzen Land, dem des Grafen von Northumberland. Und der Mann, von dem sie den Blick nicht abwenden konnte, war der uneheliche Erbe des Grafen gewesen, Stephen de Warenne.
    Er hatte sie damals nicht bemerkt. Sie hatte hinter ihrem Bruder Edgar gestanden, als dessen Page verkleidet, und hatte darauf geachtet, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; sie wollte auch von ihrer eigenen Familie auf keinen Fall erkannt werden, denn das hätte Schlimmeres als nur einen Tadel nach sich gezogen. Edgar hatte sich widerwillig bereit erklärt, ihren mutwilligen Streich zu unterstützen. Auch er wusste, wie zornig ihr Vater werden konnte.
    Der uneheliche Erbe von Northumberland zog Mary in seinen Bann; über die Schulter ihres Bruders beobachtete sie ihn aufmerksam. Einmal trafen sich ihre Blicke, nur zufällig, für die Dauer eines Herzschlags.
    Doch als sie nun auf ihn starrte, ballte Mary die Fäuste. Ihre Augen waren fest auf ihn gerichtet. Er war einer der schlimmsten Feinde ihres Vaters. Sie betete, er möge an seiner Verwundung sterben.
    Er machte allerdings nicht den Eindruck, als würde er dem Tod entgegensehen. Obwohl der Blutverlust ihn geschwächt und er sicher große Schmerzen hatte, war seine Miene fast dieselbe wie damals in Abernathy – hart und unergründlich. Sie wusste um seine Unbarmherzigkeit; nie hatte er den Schotten gegenüber Gnade gezeigt. Kannte er keine Gefühle? Spürte er vielleicht nicht einmal körperlichen Schmerz?
    Auf der freien Fläche stand ein großes, schwarzes Zelt, und daneben wehte bereits die Flagge von Northumberland – ein eindrucksvolles Banner in Schwarz, Weiß und Gold mit einer kurzstieligen, blutroten Rose in der Mitte. Mary beobachtete, wie ein Page Felle in das Zelt schleppte, die als Ruhelager dienen sollten. Zwei Ritter stützten de Warenne, als er hineinhumpelte; hinter ihnen schloss sich der Eingang.
    Mary ließ sich auf die Erde sinken. Sie fühlte sich schweißgebadet, doch ihr Mund erschien ihr völlig trocken. Die Lage schien schlimmer, viel schlimmer zu sein, als sie anfangs gedacht hatte. Stephen de Warenne war nicht nur unbarmherzig, sondern er war auch ein großer Heerführer, ganz wie sein Vater, und für seine Tapferkeit berühmt. Außerdem besaß er einen ziemlichen Ergeiz.
    Der erstaunliche Aufstieg seiner einst landlosen Familie in die Vorrangstellung, die sie heute innehatte, war allgemein bekannt, und das gesamte Reich fürchtete das Emporstreben der de Warennes. Was machte er hier? Welches Unheil würde er diesmal über Schottland bringen?
    Mary wusste, dass sie zur Burg zurückkehren und mit ihrem Vater sprechen musste. Doch sie wagte es nicht, sich zu bewegen. Von diesen Männern ertappt zu werden würde einer Katastrophe gleichkommen. Nichts konnte schlimmer sein. Aber trotz ihrer Angst musste sie es riskieren, sich langsam in den Wald zurückzuziehen, bis sie sicher war und losrennen konnte.
    Die Männer im Lager waren beschäftigt. Pferde wurden abgesattelt und versorgt. Ein kleines Feuer brannte. Schwerter, Streitäxte, Lanzen und Schilde wurden sorgfältig neben schweren Ledersätteln gelagert. Alles deutete darauf hin, dass es sich um eine gut ausgerüstete
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