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Die gelehrige Schuelerin

Die gelehrige Schuelerin

Titel: Die gelehrige Schuelerin
Autoren: Ira Miller
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Andererseits sehe ich, dass du ein unsicherer, egozentrischer Knabe bist, und damit kann ich nichts anfangen. Du nimmst vielleicht an, dass ich bereit wäre, mich dir zu Füßen zu werfen, aber das ist ein Irrtum. Ich muss immer noch herausfinden, welche Seite an dir real ist.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Als ob sie ihre Worte etwas abschwächen wollte, fügte sie hinzu: »Auf jeden Fall hast du einen schönen Körper. Ich mag dünne Männer mit einer glatten Haut. Und ich glaube, in deinen Händen versteckt sich etwas Besonderes.« Sie schaute wieder aus dem Fenster.
    Große Komplimente. Ich brauchte die äußerliche Bestätigung, aber … so etwas nicht! Ich hatte es nicht nötig, mir von jemandem sagen zu lassen, wo meine Fehler wären, und dass ich unsicher sei. Sie war ein Kind, das erwachsen spielte. Sie gebrauchte erwachsene Worte, die sie irgendwo gelesen, bei anderen aufgeschnappt hatte. Wer konnte damit etwas anfangen, zusätzlich zu dieser Lehrer-Schülerin-Situation?
    Ich blickte in den Rückspiegel, um herauszufinden, ob das Auto hinter uns etwas Verdächtiges an sich hätte.
    Ich überlegte, ob ich umkehren sollte.
    Ich dachte daran, wie sie küsste.
    Vielleicht war ich zu streng mit ihr?
    Während der zweiten Stunde fuhren wir durch einen verregneten Wald. Wir fanden nicht viel, worüber wir reden konnten, so betrachteten wir die Landschaft.
    Der dicke Nebel zwischen den Bäumen machte den Wald noch dunkler. Die Straße führte durch eine bergige Landschaft, und riesige Bäume schienen aus dem graubraunen Morast über den Weg zu wachsen. Über den Waldboden schlängelten sich bizarre Baumwurzeln vermischt mit Moos, Farnen und allerlei grünen Pflanzen, die im Frühjahr sicherlich eine wilde Blütenpracht entfalten würden. Ich kam mir in dem nebligen Wald vor, als bewege ich mich auf verbotenen Pfaden, und war froh, im Auto zu sitzen.
    Während ich auf die entgegenkommenden Wagen achtete und dem gleichmäßigen Takt der Scheibenwischer nachsann, die die Nebeltropfen von der Windschutzscheibe strichen, musste ich an Annie denken. Wie oft würde ich wohl jemandem begegnen, mit dem ich mir eine völlig eigene Welt ausmalen und verwirklichen könnte? Inzwischen hätte ich wirklich schon begreifen sollen, dass Wunschträume niemals wahr würden.
    Als wir den Wald verließen, brach die Sonne durch. Wir fuhren jetzt durch eine abwechselnd flache und zerklüftete Küstenlandschaft. In Oregon hatte ich schon öfter einen abrupten Wetterumschwung erlebt, sobald ich in eine andere Gegend fuhr. Trotzdem war ich erschrocken, als ich plötzlich den blauen Himmel und das blendende Sonnenlicht über der nassen Straße sah. Die Erde dampfte.
    Nach all dem Regen begrüßte ich die Sonne wie einen alten Freund.
    Ich spürte, dass auch Annies Laune sich besserte.
    Arcadia City sah aus wie eine Geisterstadt. Obwohl Autos am Straßenrand parkten, einige Geschäfte geöffnet waren und vereinzelt Fußgänger über die Straße liefen, wirkte die Stadt, die sich wie ein Band an der Hauptstraße entlangzog, verlassen. Die teuren Restaurants waren zugesperrt, Motels wiesen eines nach dem anderen leere, gähnende Parkplätze auf und die einer langen Perlenkette gleichenden Andenken-, Antik- und Modegeschäfte waren den Winter über mit Bretterplanken vernagelt. Einen Augenblick lang sah ich diese Straße im Sommer – braun gebrannte Leute in T-Shirts, die in ihren Sandalen vom Strand in die Läden und wieder zum Strand hinunterliefen –, aber im Augenblick fühlte ich nur die Leere.
    Ich wollte das Meer sehen.
    Auf einem riesigen, verlassenen Parkplatz stellte ich den Wagen ab und rannte zum Strand. Annie schloss die Autotüren. Nasser Sand rann mir in die Schuhe. Vor mir breitete sich – als ob ich gerade die letzte Schranke durchbrochen hätte und nun am Ende der Welt stünde – das Wasser aus.
    Ich sog die feuchte Salzluft tief in meine Lungen und spürte, wie der Druck in meinem Kopf sich auflöste und einem Hochgefühl wich. Ich starrte hinaus. Annie holte mich ein, völlig außer Atem, und betrachtete aufmerksam mein Gesicht. Das Meer schien sie weniger zu interessieren als meine Reaktion darauf.
    Alles war so anders.
    Das Wasser war lange nicht so ruhig, wie die karibische See und noch wesentlich rauer als der Atlantik. Es schien der König aller Ozeane zu sein. Vom weiten Horizont her brach er an den Strand, wühlte den Sand auf, spritzte riesige Schaumkronen hoch, rollte zurück und brach sich wieder in
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