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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Autoren: Katherine Pancol
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ihnen ja sowieso nicht mehr geschrieben«, fuhr sie fort, als redete sie mit sich selbst, »und auch nicht mehr angerufen. Er war dabei, aus ihrem Leben zu verschwinden. Sie werden nicht sofort nach ihm fragen … Ich sage es ihnen später … nach … ich weiß nicht, wann … Erst sage ich einfach, dass er ins Landesinnere gefahren ist, um passende Ländereien für weitere Farmen zu suchen … und dann … Ach, das werden wir sehen.«
    Und dann … kam alles wieder.
    Der Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten. Als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, stand er verloren in einer Straße von Paris, hielt einen Stadtplan in den Händen und suchte nach dem Weg. Sie hatte ihn für einen Ausländer gehalten. Sie war auf ihn zugegangen und hatte mit überdeutlicher Aussprache gefragt: »Kann ich Ihnen helfen?«
    Er hatte sie verzweifelt angeschaut und erklärt: »Ich habe einen wichtigen Termin, einen geschäftlichen Termin, und ich fürchte, ich komme zu spät.«
    »Es ist nicht weit, ich bringe Sie hin«, hatte sie gesagt. Das Wetter war schön, es war der erste Sommertag in Paris, sie trug ein leichtes Kleid, sie hatte gerade die Agrégation für französische Literatur und Altphilologie bestanden und schlenderte beschwingt durch die Straßen. Sie hatte ihm den Weg gezeigt und ihn zu einer großen lackierten Holztür in der Avenue de Friedland geführt. Er schwitzte, hatte sich übers Gesicht gerieben und gefragt: »Kann ich mich so sehen lassen?« Sie hatte gelacht und geantwortet: »Sie sehen perfekt aus.« Er hatte ihr gedankt und sie dabei angesehen wie ein geprügelter Hund.
Sie erinnerte sich noch ganz genau an diesen Blick. Wie gut, dass ich ihm geholfen habe, hatte sie gedacht, ich habe eine gute Tat vollbracht, der arme Junge sieht so kläglich aus. Ja, genau das waren ihre Gedanken gewesen. Er hatte sie gefragt, ob sie nach seinem Termin mit ihm etwas trinken gehen wolle, »wenn alles gut geht, feiern wir meine neue Stelle, wenn nicht, können Sie mich trösten«. Sie hatte diese Formulierung etwas ungeschickt gefunden, trotzdem hatte sie seine Einladung angenommen. Ich weiß noch genau, dass ich sie angenommen habe, weil er mir keine Angst machte, weil das Wetter so schön war, weil ich nichts Besseres vorhatte und weil ich ihn beschützen wollte. Er wirkte fehl am Platz in dieser zu großen Stadt, in dem zu weiten Anzug, mit dem Stadtplan, den er nicht lesen konnte, und dem Schweiß, der ihm in die Augen lief. Um sich die Zeit bis zu ihrem Wiedersehen zu vertreiben, war sie über die Champs-Élysées spaziert und hatte sich ein Schokolade-Vanille-Eis und einen neuen Lippenstift gegönnt. Anschließend hatte sie ihn vor der glänzenden Holztür wieder abgeholt. Vor ihr stand ein vor Energie sprühender, selbstsicherer, beinahe herrischer Mann. Sie hatte sich gefragt, ob sie ihn während ihres Spaziergangs verklärt hatte. Oder hatte sie ihn vielleicht vorhin falsch eingeschätzt? Jetzt sah sie ihn in einem völlig neuen Licht: selbstbewusst, interessant, geistreich. »Es lief wie am Schnürchen«, hatte er gesagt, »ich habe den Job!« Er hatte sie in ein Restaurant eingeladen. Während des Essens hatte er ununterbrochen über seine neue Arbeit gesprochen, dies würde er tun, das würde er machen, und sie hatte ihm zugehört und den Wunsch verspürt, sich einfach fallen zu lassen. Er wirkte so verlässlich, so mitreißend. Später hatte sie sich gefragt, aus wie vielen verschiedenen Blickwinkeln man einen Menschen betrachten konnte und welcher davon der richtige war. Und ob sich das, was man für einen Menschen empfand, je nach Blickwinkel veränderte … Wenn er sie zum Essen eingeladen hätte, als er noch verstört, ängstlich und verschwitzt war, hätte sie dann Ja gesagt? Ich glaube nicht, hatte sie sich eingestanden. Ich hätte ihm viel Glück gewünscht und wäre gegangen, ohne mich noch einmal umzudrehen … Wovon hängt es ab, ob ein Gefühl entsteht? Von einem flüchtigen Eindruck? Von einem Blickwinkel, der sich verschiebt, einem Bild, das man auf den anderen projiziert? Der Tag, an
dem er um ihre Hand angehalten hatte, war ein selbstbewusster, ein männlicher Tag gewesen. Sie hatte Ja gesagt. Das hatte ihr am Anfang ihrer Ehe lange zu denken gegeben, vor allem, da das Bild, das ihr Antoine bot, so häufig wechselte …
    Jetzt gibt es keine Blickwinkel mehr. Er ist tot. Mir bleibt das Bild eines diffusen, aber liebenswerten und sanftmütigen Mannes. Vielleicht hätte er eine andere Frau
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