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Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Cadignan teilt mein Bedauern. Ich habe erfahren, daß Sie einer der besten Freunde dieses armen Jungen waren. Ihre gegenseitige reine, ungetrübte Freundschaft begründete für Sie einen Anspruch auf mein Interesse. Sie werden es also nicht weiter wunderbar finden, wenn ich alles wissen wollte, was Sie mir über dieses Wesen sagen können, das Ihnen so teuer ist. Wenn ich auch an der verbannten Dynastie hänge und verpflichtet bin, monarchische Anschauungen zu hegen, so gehöre ich doch nicht zu der Zahl derer, die Republikanismus und Edelmut für unvereinbar ansehen. Die Monarchie und die Republik sind die beiden einzigen Regierungsformen, die die schönen Empfindungen nicht ersticken.« »Michel Chrestien war ein Engel, gnädige Frau,« erwiderte Daniel mit bewegter Stimme. »Ich kenne unter den Helden des Altertums keinen, der ihm überlegen gewesen wäre. Hüten Sie sich davor, ihn für einen von den beschränkten Republikanern zu halten, die den Konvent und die Artigkeiten des Wohlfahrtskomitees wiederempfehlen möchten. Nein, Michel träumte von einer Anwendung der Schweizer Bundesverfassung auf ganz Europa. Geben wir übrigens zu, unter uns, daß nächst der glanzvollen Negierung durch einen einzigen – die, glaube ich, unserem Lande mehr zusagt – Michels System am besten die Unterdrückung des Krieges in der Alten Welt und ihren Wiederaufbau auf einer andern Grundlage gewährleistet, als es die Grundlage der Eroberung ist, die ehedem die Feudalverfassung gab. Die Republikaner standen seinen Gedanken in dieser Hinsicht am nächsten; deshalb lieh er ihnen im Juli und zu Saint-Merri seinen Arm. Obwohl wir in unsern Anschauungen sehr weit auseinandergingen, sind wir durch enge Freundschaft verbunden geblieben.« »Das ist das schönste Lob für Ihre beiden Charaktere,« sagte Frau von Cadignan schüchtern. »Während der letzten vier Jahre seines Lebens«, fuhr Daniel fort, »vertraute er mir seine Liebe zu Ihnen an; und dieses Vertrauen knüpfte die schon starken Bande unserer brüderlichen Freundschaft noch enger. Er allein, gnädige Frau, hat Sie geliebt, wie Sie geliebt werden müßten. Wie oft hat es nicht stark geregnet, wenn ich Ihren Wagen bis zu Ihrem Hause begleitete, indem ich an Geschwindigkeit mit Ihren Pferden kämpfte, damit wir mit Ihnen in einer Linie blieben und Sie sehen... Sie bewundern konnten.« »Ich werde gehalten sein. Sie zu entschädigen!« sagte die Fürstin. »Weshalb ist Michel nicht da?« erwiderte Daniel mit einem Ton voller Melancholie. »Er hätte mich vielleicht nicht lange geliebt,« sagte die Fürstin, indem sie voll Trauer den Kopf schüttelte. »Die Republikaner sind noch starrer in ihren Ideen als wir Absolutisten, denn wir sündigen durch unsere Nachsicht. Er hatte mich wahrscheinlich als vollkommen geträumt, und er wäre grausam enttäuscht worden. Wir Frauen werden ebensoviel von Voreingenommenheiten verfolgt, wie Sie sie im literarischen Leben zu ertragen haben, und wir können uns weder durch den Ruhm noch durch unsere Werke verteidigen. Man glaubt uns nicht, was wir sind, sondern nur wozu man uns macht. Man hätte ihm bald die unbekannte Frau, die in mir steckt, unter dem falschen Bildnis der imaginären Frau verborgen, die für die Welt die wahre ist. Er hätte mich der edlen Empfindungen, die er mir entgegenbrachte, für unwürdig gehalten, für unfähig, sie zu begreifen.« Die Fürstin machte eine Kopfbewegung, indem sie in wundervoller Geste die schönen blonden Locken mit dem darin befestigten Heidekraut schüttelte. Die trostlosen Zweifel, das verborgene Elend, das sie ausdrückte, war unsäglich. Daniel begriff alles und sah die Fürstin in lebhafter Bewegung an. »Und doch stand ich an dem Tage, als ich ihn wiedersah, lange nach dem Juliaufstand,« fuhr sie fort, »in Versuchung, meinem Wunsch zu unterliegen und ihn in der Vorhalle der Italienischen Oper vor aller Welt bei der Hand zu nehmen, ihm diese Hand zu drücken und ihm meinen Strauß zu reichen. Ich sagte mir, daß dieser Beweis des Dankes, wie so viele andere edle Dinge, die heute als Tollheiten der Herzogin von Maufrigneuse erzählt werden, falsch gedeutet werden würde, und ich kann jene Dinge niemals kommentieren; nur mein Sohn und Gott werden mich jemals kennen.«
    Diese Worte, die dem Zuhörer ins Ohr geflüstert wurden, so daß sie den andern Gästen entgingen, und zwar mit einem Tonfall, der der geschicktesten Schauspielerin würdig gewesen wäre, mußten zu Herzen dringen; und sie
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