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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
Autoren: Syrie James
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das Tal hinunter. Hinter dem Pfarrhaus und in der ganzen Umgebung ringsum erstreckten sich die stummen, endlosen, windgepeitschten Hänge des Moors. Nicht jedes Auge konnte die Schönheit erkennen, die meine Geschwister und ich in dieser weiten, rauen, kahlen, öden Landschaft sahen. Für uns war das Moor immer eine Art Paradies gewesen, eine Zufluchtsstätte, wo wir unserer blühenden Phantasie freien Lauf lassen konnten.
    Das Pfarrhaus, auf der Anhöhe eines steilen Berges gelegen, war ein zweigeschossiges, symmetrisches graues Steinhaus, das man im späten achtzehnten Jahrhundert erbaut hatte. Von dort sah man auf ein jämmerlich kleines, quadratisches Rasenstück,an das auf der anderen Seite einer niedrigen Steinmauer sogleich der überfüllte, von Unkraut überwucherte Friedhof angrenzte; dahinter lag die Kirche. Wir waren keine begeisterten Gärtner; da in diesem Klima nichts so recht wachsen wollte, außer dem Moos, das unsere feuchten Steine und den nassen Boden überzog, nannten wir nur wenige Beerensträucher und einige struppige Dornenbüsche und Fliederbäume unser eigen, die an einem halbkreisförmig angelegten Kiesweg wuchsen.
    Der Garten mochte ein wenig vernachlässigt sein, unser Haus war es nicht. Alles dort wurde liebevoll gepflegt und mit größter Sorgfalt sauber gehalten, von den glänzenden Fensterscheiben in den Sprossenfenstern bis zu den makellosen Sandsteinböden, die sich jenseits der Küche über alle Räume des Untergeschosses erstreckten. Die Wände waren nicht tapeziert, sondern in einer sehr hübschen taubenblauen Farbe gestrichen. Weil Vater sich panisch vor Feuer (und der gefährlichen Kombination von Kindern, Kerzen und Vorhängen) fürchtete, hatten wir statt Gardinen nur Klappläden, die von innen vor die Fenster gelegt wurden, und nur kleine Teppiche im Esszimmer und im Salon (Papas Studierzimmer). Alle unsere Zimmer im Obergeschoss und unten waren klein, aber von schönen Proportionen, unser Mobiliar spärlich, aber solide: Stühle und Sofa mit Rosshaarpolstern, Mahagonitische und einige wenige Bücherregale, die mit den Klassikern angefüllt waren, an denen wir seit unserer Kindheit unsere Freude hatten. Das Pfarrhaus war keineswegs ein großartiges Haus, aber es war das größte Haus in Haworth und nahm als solches eine herausragende Stellung ein; wir brauchten und wünschten nicht mehr als dies; wir liebten jede Ecke und jeden Winkel von ganzem Herzen.
    »Und jetzt haben wir schon sieben Monate lang keinenHilfspfarrer mehr, der Papa zur Hand gehen könnte«, sagte ich. »Wenn man einmal von Reverend Joseph Grant von Oxenhope absieht, der mit seiner neuen Schule zu viel zu tun hat, um eine wirkliche Hilfe zu sein.«
    »Hat Papa morgen nicht einen Kandidaten für den Posten des Hilfspfarrers zu sich bestellt?«
    »Ja.« Da ich seit einigen Monaten den Briefwechsel meines Vaters führte, wusste ich ein wenig über den fraglichen Herrn. »Es ist ein gewisser Mr. Nicholls aus Irland. Er hat auf Papas Anzeige in der
Ecclesiastical Gazette
geantwortet.«
    »Vielleicht ist der ihm recht.«
    »Das wollen wir hoffen. Wenn Papa einen guten Hilfspfarrer hat, gibt ihm das ein wenig Bedenkzeit, und dann können wir alle zusammen entscheiden, was zu tun ist.«
    »So was wie einen guten Hilfspfarrer gibt’s heutzutage nicht mehr«, grummelte Tabby, unsere weißhaarige Bedienstete, in ihrem starken Yorkshire-Akzent, als sie mit einem Korb Äpfel aus der Speisekammer in die Küche gehumpelt kam. »Diese jungen Pfarrer sind alle so hochnäsig und eingebildet, die meinen, sie sind allen anderen haushoch überlegen. Ich bin hier nur eine Bedienstete und verdiene es ihrer Meinung nach nicht einmal, höflich behandelt zu werden. Und sie schimpfen immer auf unsere Sprache, unsere Sitten und die Menschen hier in Yorkshire. Und wie sie aus heiterem Himmel beim Pfarrer zum Tee oder zum Abendessen hereingeschneit kommen, also, das kann ich wirklich nicht entschuldigen. Für nichts und wieder nichts machen sie den Frauen so viel Arbeit.«
    »Das würde mich nicht so sehr stören«, antwortete ich, »wenn sie nur mit dem zufrieden wären, was wir ihnen vorsetzen; aber sie beklagen sich ja auch noch dauernd.«
    »Die alten Pfarrer sind mehr wert als alle die Bürschchen vom College zusammen«, sagte Tabby mit einem Seufzer, ließsich auf einem Stuhl am Küchentisch nieder und begann die Äpfel zu schälen. »Die wissen wenigstens, was gute Manieren sind, und die sind zu allen freundlich, zu den feinen
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