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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
Autoren: Syrie James
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Leuten und zu den Bediensteten.«
    »Tabby«, sagte ich plötzlich und schaute zur Uhr auf dem Kaminsims, »ist die Post schon dagewesen?«
    »Ja, und es war nichts für dich dabei, Kind.«
    »Bist du sicher?«
    »Ich habe doch zwei Augen, oder? Von wem erwartest du denn einen Brief? Hast du nicht gerade vor zwei Tagen Post von deiner Freundin Ellen bekommen?«
    »Ja.«
    Emily schaute mich scharf an. »Sag nicht, dass du immer noch auf einen Brief aus Brüssel hoffst?«
    Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg und der Schweiß auf die Stirn trat; ich redete mir ein, es sei die Wärme des Feuers und hätte nichts mit Emilys Bemerkung oder der Intensität ihres durchdringenden Blicks zu tun. »Nein, natürlich nicht«, log ich. Ich wischte mir mit dem Schürzenzipfel über die Stirn. Dabei geriet Mehl auf meine Brille; ich nahm sie kurz ab und polierte sie ein wenig.
    Tatsächlich lagen versteckt in der untersten Schublade meiner Kommode fünf kostbare Briefe aus Brüssel: Briefe von einem gewissen Mann, die so oft gelesen und wieder gelesen worden waren, dass sie an den Falzstellen zu zerreißen drohten. Ich sehnte mich nach weiterer Post, aber es war nun ein ganzes Jahr her, seit ich die letzte erhalten hatte, und der so begehrte weitere Brief blieb aus. Ich spürte, dass Emilys Augen auf mir ruhten; von allen Familienmitgliedern kannte sie mich am besten – und ihr entging nie etwas. Ehe sie jedoch mehr sagen konnte, vibrierte der Draht der Türklingel, und dann läutete die Glocke.
    »Wer könnte das denn sein, bei dem scheußlichen Wetter?«, fragte Tabby.
    Beim Klang der Glocke waren die beiden Hunde, die zufrieden am Kamin gelegen hatten, aufgesprungen. Flossy, unser liebenswerter, seidiger schwarzweißer King-Charles-Spaniel, blinzelte nur ruhig und interessiert. Emilys Hund Keeper, eine gedrungene, löwengleiche, schwarzköpfige englische Dogge, bellte laut und raste auf die Küchentür zu. Blitzschnell hatte Emily den Rüden beim Halsband gepackt und hielt ihn zurück.
    »Keeper! Ruhig!«, rief Emily. »Ich hoffe nur, es ist nicht Mr. Grant oder Mr. Bradley, der zum Tee kommt. Ich bin heute nicht in der Stimmung, Hilfspfarrer durchzufüttern.«
    »Für Tee ist es noch zu früh«, gab ich zu bedenken.
    Keeper kläffte nach wie vor wild; Emily musste all ihre Kraft aufbringen, um ihn zu kontrollieren. »Ich sperre ihn in mein Zimmer ein«, sagte Emily, während sie ihn eilig aus der Küche und die Treppe hinauf zerrte.
    Ich verstand Emilys Abneigung gegen Fremde gut, wusste also, dass sie nicht genauso eilig zurückkehren würde. Da Tabby alt und schlecht zu Fuß war und Martha Brown, das Dienstmädchen, das im Allgemeinen den Löwenanteil der Hausarbeit übernahm, für eine Woche nach Hause gegangen war, weil ihr Knie schmerzte, fiel mir die Aufgabe zu, die Tür zu öffnen.
    Überhitzt und müde nach einem ganzen Morgen in der Küche, konnte ich nur im Vorübergehen einen kurzen Blick in den Spiegel im Flur werfen, um mein Aussehen zu überprüfen. Ich schaute mir mein Ebenbild nie gern an; ich war sehr klein und dünn, und ich verspürte stets Unzufriedenheit über das bleiche, unscheinbare Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegensah. Jetzt erinnerte mich dieser flüchtige Blick zumeinem Entsetzen daran, dass ich mein ältestes Kleid trug, das mir nun wirklich nicht schmeichelte, dass ich ein Kopftuch umgebunden hatte, meine Schürze vom Kneten des Pastetenteigs mit Mehl bestäubt war und dass auch meine Hände und meine Stirn mit Mehl eingepudert waren. Ich wischte mir rasch mit der Schürze über die Stirn, was die Sache allerdings eher verschlimmerte.
    Erneut ertönte die Glocke. Flossy folgte mir auf dem Fuße, und seine Zehennägel klickten auf dem Steinboden, während ich durch den Flur zur Haustür eilte und sie öffnete.
    Ein eiskalter Windstoß wehte Regen und Sturm ins Haus. Ein junger Mann von vielleicht Ende zwanzig stand vor mir auf den Stufen, bekleidet mit einem schwarzen Mantel und Hut, unter einem völlig unzureichenden Regenschirm, den eine plötzliche Bö zum Entsetzen des Mannes auch noch umdrehte. Da nun selbst der geringe Schutz durch den Schirm fehlte, erschien mir unser Besucher auf den ersten Blick wie eine hoch aufgeschossene nasse Ratte. Sein verzweifelter Versuch, den Schirm wieder zu richten und blinzelnd durch den peitschenden Regen zu sehen, machte es mir schwer, seine Gesichtszüge zu erkennen, und das wurde noch schlimmer, als er, mich erblickend, unverzüglich den
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