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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen
Autoren: Ulrich Kiesow
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genug zum Schweigen gebracht, aber heute warst du zu langsam.« Auf dem First des Palas hoben sich plötzlich zwei Gestalten vor dem hellen Grau des Himmels ab. Beide saßen rittlings auf den Schindeln, nahe beim Kamin, der seinen Schatten über sie warf. Die hintere war Viburn, die vordere, gefesselt, den Kopf unter einem übergestülpten Tontopf verborgen, mußte Mimmel sein. Viburn fuhr fort: »Wer so schändlich handelt wie du, darf keinen Zeugen am Leben lassen – du bist eine schlampige Verbrecherin!«
    Ulissa hatte den Zweihänder fortgeworfen und einer Amazone den Bogen aus der Hand gerissen. Larix, dessen Hände noch immer gefesselt waren, antwortete als einziger. »Tu doch etwas, Arve!« schrie er mich an. Aber ich war nicht schnell genug. Der Pfeil huschte durch die Luft und fuhr tief in Mimmels Brust. Mit einem Schrei bäumte sich der kleine Häuptling auf. Er rutschte Viburn aus den Händen, glitt über das Dach und stürzte kopfüber – sein Schädel steckte noch immer in dem unförmigen Topf – auf das Pflaster. Tonscherben flogen durch die Luft wie bei einer Explosion.
    »Er hat den Ring in seiner Gürteltasche!« rief Viburn ungerührt vom Dach herab. »Die Seite aus seinem Hauptbuch, auf der der Handel säuberlich verzeichnet wurde, liegt links neben ihm ... Vielleicht möchte jemand einmal nachschauen!«
    Ulissa legte einen zweiten Pfeil in den Bogen. Viburn zog vorsorglich den Kopf ein.
    »Wie lange wollt ihr die Mörderin denn noch gewähren lassen?« brüllte Larix außer sich vor Empörung. »Seid ihr Kriegerinnen oder Sklavinnen?«
    Nun kam endlich Bewegung in die Amazonen. Zwei Offizierinnen sprangen vor und rissen Ulissa Pfeil und Bogen aus der Hand. Ulissa zog ihren Säbel und wies mit der Spitze auf Yppolita, die neben dem Block stand und sich, wie in Gedanken versunken, langsam und bedächtig die rotgefrorenen Arme rieb. »Hier steht Aussage gegen Aussage, Wort gegen Wort!« rief Ulissa. »Sollen die Waffen entscheiden, wer Königin der Amazonen sein wird!«
    »Gib mir deinen Säbel«, sagte Yppolita zu einer Amazone, die in ihrer Nähe stand. Sie nahm die Waffe in Empfang, wog sie in der Rechten.
    Ich sprang vor und verstellte ihr den Weg. »Das ist doch Wahnsinn! Sie ist eine Intrigantin, eine Meuchelmörderin! Sie hat keinen Anspruch auf einen gerechten Kampf! Sie trägt eine Rüstung und du ...! Sieh dich doch nur an! Und ... und du bist völlig steif gefroren!«
    Während ich sprach, war Yppolita einfach immer weiter nach vorne gegangen, hatte mich Schritt für Schritt zurückgedrängt und schob mich endlich mit dem linken Arm wie einen lästigen Bittsteller zur Seite. Nun stand sie vor ihrer Schwester, gut zwei Schritt von ihr entfernt.
    Ulissa schlug ohne Vorwarnung zu, schräg, von unten herauf.
    Yppolita sprang zu spät, aber immer noch schnell genug, um dem Hieb wenigstens einen Teil seiner Wucht zu nehmen. Die Klinge durchtrennte den Gazestoff und schnitt in Yppolitas Oberschenkel.
    Ein ungleicher Kampf begann. Ulissas Hiebe fielen dicht, beherrscht und wohlgezielt. Sie fintete eiskalt, nutzte jede Lücke in Yppolitas Deckung aus. Yppolita stolperte auf ihren hochhackigen Sandalen – wenn sie die wenigstens ausgezogen hätte! – über die Pflastersteine. Um der Heftigkeit von Ulissas Schlägen begegnen zu können, mußte sie ihren Säbel mit beiden Händen führen, das verlangsamte ihre Paraden. Zwar wehrte sie die wuchtigsten Hiebe ab, aber Ulissas ansatzlos gesetzte, kleine Stiche und Schnitte fanden viel zu oft ihr Ziel. Bald schon blutete Yppolita aus zahlreichen Wunden, keine gefährlich oder tief, aber jede bereitete Schmerzen und kostete Kraft.
    Jeder Zuschauer im Hof konnte sehen, wie Ulissa an Sicherheit gewann. Die Schwester war lange nicht so gefährlich, wie sie befürchtet hatte, kaum eine ernstzunehmende Gegnerin. Ulissa entschied sich, den Kampf nach Amazonenart zu führen: Lang sollte er dauern und der Siegerin Gelegenheit geben, ein großartiges Bild zu bieten. Die Königin nutzte nicht mehr jede Gelegenheit, einen kleinen Treffer anzubringen. Ja, sie ließ es nun sogar zu, daß Yppolita hin und wieder eine Attacke vortrug. Sie nahm die verzweifelten Hiebe zum Anlaß, elegante Paraden und Ausweichmanöver vorzuführen. Yppolita schlug zu, Ulissa bog den Oberkörper zur Seite, nicht einen Fingerbreit zu weit. Yppolita, vom eigenen Schwung nach vorn gerissen, stolperte an ihrer Gegnerin vorüber. Ulissa hielt ihr die Säbelklinge zwischen die Unterschenkel,
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