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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition)
Autoren: Philippe Djian
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draufgesprungen, um nicht von der Leiter zu stürzen, und Laure hatte vor Schreck ihrem Sohn einen entgeisterten Blick zugeworfen, während die Vorhängeschlösser quietschend gegen die Blechwände schepperten.
    Das einzige, was ihm Sorgen bereitete, war die Tatsache, daß Anaïs, wenn es hart auf hart ging, die Möglichkeit hatte, die eine oder andere Note in der Akte eines Schülers zu fälschen. Und wie sollte man in diesen schweren Zeiten auf so eine Möglichkeit verzichten? Gras zu finden war letztlich nicht so schwierig, aber eine Zwei in einem Fach zu bekommen, wurde geradezu zu einer Herausforderung.
    Er verließ das Haus und achtete dabei darauf, daß die Crozes ihn nicht sahen, die nach draußen geschlichen waren und sich mit ihren Salben, ihrem Puder und ihren Seufzern ohnmächtiger Wut heimlich in der Dunkelheit niedergelassen hatten. Er ging durchs Unterholz, ohne seine Lampe anzuknipsen, denn schimmerndes Mondlicht drang sanft durch das dichte Laub. Aus der Ferne hörte er Gelächter und Musik aus den achtziger Jahren, die bei den meisten Eltern sehr beliebt war.
    Er sägte in sechs oder sieben Meter Höhe eine Sprosse fast ganz durch. Dann kletterte er auf die Plattform und atmete etwas frische Luft, die über den Wipfeln wehte. Der Widerhall des Fests schien aus dem Haus von Alexandra Storer zu kommen, die ihren Sohn nach Lisas Tod aufs Internat geschickt hatte.
    Am Fuß des Hügels, in etwa drei Kilometer Entfernung, konnte man hinter dem letzten dunklen Waldgürtel ein paar Hochhäuser erkennen, die seit kurzem in den Neubauvierteln hochgezogen worden waren und wie durchsichtige Kerzen auf einer Wolke aus rosa Tüll aus der Dunkelheit auftauchten.
    Als er zurückkam, saß sein Vater an der Bar. Der ganze Raum lag im Dunkeln, nur Richard schien in einem Kokon aus gleißendem Licht zu schweben. Er trug einen hellen Leinenanzug, der so zerknittert war, daß es sich wohl nur um eine Koketterie handeln konnte, die darauf abzielte, sein Image als Schriftsteller zu wahren. Er betrachtete sein Glas und drehte es nachdenklich in der Hand.
    Infolge der Exzesse der vergangenen Jahre, zweier Klinikaufenthalte und einer Überdosis in einem Zimmer des Berliner Hotels Bristol während einer Lesereise war er vorzeitig gealtert und hatte nie sein athletisches Äußeres wiedererlangt, das nicht ganz unbeteiligt daran gewesen war, daß Laure seinem Charme erlegen war und ihre Hochzeitsreise, eine angeblich ganz heiße Sache, um einen Monat verlängert hatte. Für einen Siebenundvierzigjährigen hatte er ein ziemlich faltiges Gesicht. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Peter O’Toole, aber einem Peter O’Toole mit dunkel umschatteten Augen, einem müden Peter O’Toole, und die letzten Monate hatten ihn noch stärker gezeichnet.
    Nach einer Weile spürte er Evys Anwesenheit und wandte den Kopf. Aber es dauerte einen Augenblick, ehe er etwas zu sagen wußte.
    »Warst du draußen?« Er stand auf, um aus dem Lichtkegel zu treten, der ihn in eine unangenehme Position versetzte, und schob eine Fenstertür auf, die leise auf den Schienen knirschte. Er horchte auf das Sirren der Insekten, das Flügelschlagen eines Nachtvogels, der von der Zeder aufflog und hinterm Dach verschwand.
    Er rauchte auch wie ein Verrückter, filterlose englische Zigaretten, deren Geruch sein Arbeitszimmer für alle Zeiten verpestete. Er zündete sich eine an.
    »Ich war bei Alexandra«, sagte er. »Ich habe das Gefühl, daß Patrick es auf eine Zerreißprobe mit seiner Mutter ankommen läßt. Zumindest habe ich das so verstanden. Ich glaube, er hat versucht, sein Internat in Brand zu stecken.«
    Ein paar Sekunden lang machte er den Eindruck, als mustere er den in der Finsternis liegenden Garten mit höchster Aufmerksamkeit, dann wandte er sich seinem Sohn zu und zuckte die Achseln.
    »Das war eine völlig ungerechte Entscheidung«, seufzte er. »Ich mag Alexandra durchaus gern, aber da hat sie wirklich eine blöde Entscheidung getroffen.«
    Evy fragte ihn, was sie jetzt zu tun gedenke, aber Richard hatte keine Ahnung und wollte sich vor allem nicht in die Sache einmischen.
    »Haben sie ihn von der Schule geworfen?«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie ihn behalten. Es sei denn, Alexandra gibt ihnen einen verdammt hohen Scheck, aber auch das reicht nicht unbedingt.«
    Er kratzte sich am Kopf.
    »Es sieht so aus, als würde deine Mutter die Rolle ihres Lebens bekommen«, erklärte er und ging zum Kühlschrank. Er stellte sein Glas unter
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