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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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werden, und der sich unablässig auf den Willen der Götter beruft, wenn er heimkehren soll. All seine Gefährten, mit denen er einstmals in die Schlacht gezogen war und die in diesem verdächtigen Unternehmen nicht das Leben gelassen hatten, waren der Reihe nach heimgekehrt. Er war immer noch nicht zurück. Und ich saß mit meinem Sohn und den Freiern in Ithaka und musste ohnmächtig zusehen, wie mir ohne den Hausherrn unser Vermögen durch die Finger rann; ich webte, obwohl dies eine Beschäftigung ist, die ich mehr als alles andere hasse. Meine Mutter, die Nymphe, hatte sich beruflich mit der Anfertigung von Hausgewebtem beschäftigt und dafür gesorgt, dass ich diese eintönige Arbeit schon als kleines Mädchen zu hassen lernte. Ich webte – meine lächerliche Ausrede nahm natürlich kein einziger Freier ernst – und dachte daran, dass die Zeit vergeht. Mein Mann war einundfünfzig Jahre alt, als er endlich eines Tages auf dem Schiff der Phaiaken schlafend auf unsere Insel zurückkam. Ich war zweiundvierzig.
    VI
    Deswegen und auch aus anderen Gründen konnte ich ihn nicht so recht bemitleiden. Aber vergessen konnte ich ihn auch nicht. Warum nicht? Weil ich ihn liebte? Ich habe zwischenzeitlich gelernt, dieses Wort sehr vorsichtig zu verwenden. Die Menschen sprechen dieses Verb viel zu schnell und leichtfertig aus. Und die Götter haben das Sehnsuchtsbild der Liebe mit schwärmerischem Goldrauch umhüllt. Ich weiß nicht, ob ich Ulysses geliebt habe. Es fällt mir schwer, das zu sagen, weil ich weiß, dass meine Meinung und meine Gefühle nicht mehr nur meine Privatangelegenheit sind; die Sänger, die Zeit, dieser geschwätzige Propagandist, die Musen haben um mich und meine Rolle als Ehefrau eine Legende gewebt. Ich bin die treue Gattin, die am Webstuhl sitzt und sich verzehrt, während ihr Mann zu Wasser und zu Lande kämpft … Aber das stimmt nicht. In Wirklichkeit trug ich vom ersten Augenblick an eine Wut auf ihn im Herzen. Ich hasste ihn, denn er hatte mich nur zur Gattin gewählt, weil er Helena nicht bekommen konnte. Er nahm mich aus Sparta nach Ithaka mit wie ein Wettkämpfer, der im Turnen Zweiter geworden ist und sich nun mit dem Trostpreis begnügt. Ich liebte ihn nicht, weil sein unsteter Sinn immer anderswo unterwegs war. Ich hätte ihn umbringen können, weil er immer von mir wegging und mich betrog … Aber als mein hehrer Gatte, der edle Telegonos, Ulysses schließlich tatsächlich tötete, erkannte ich neben der großen Erleichterung, die ich in diesem Augenblick empfand, auch, dass ich jetzt für alle Ewigkeit einsam bleiben würde. Ich konnte Ulyssess nie vergessen, denn er war schließlich mein Mann. Ich habe nur so lange wirklich gelebt, wie auch er lebte. Jetzt, da er gestorben ist, bin ich nur unsterblich. Das ist nicht dasselbe.
    Der Ehemann ist eine sonderbare Schöpfung der Götter. Ulysses trug nie Hausschuhe. Er werkelte nicht gern im Haus herum. Um die Erziehung seines Sohnes kümmerte er sich wenig. Aber er war mein Mann … nach dem Willen der Götter, oder auch anderswie, schicksalhafter. Jetzt verstehe ich das.
    Ich habe keine Veranlassung zu verschweigen, dass ich mir der Kraft meiner Schönheit bewusst bin. Ich bin eine Frau und habe keine Pickel auf dem Rücken wie gewisse weltberühmte Schabracken, die unerfahrene und naive Männer betören. Mein Körper ist wohlproportioniert, meine Formen sind füllig. Als mein Mann heimkehrte – als ich zweiundvierzig Jahre alt war –, empfing ich ihn in meinem Bett noch mit prallen Armen und gebar ihm unseren zweiten Sohn, den hehren, wenn auch etwas einfältigen Ptolipathos, so leicht wie den ersten zwanzig Jahre zuvor. Dieser zweite Sohn ist wirklich weniger gelungen. Aber ich glaube, das liegt nicht an mir. Vielleicht liegt es daran, dass wir in dem Augenblick, in dem ich den Leib meines Mannes wieder kennenlernte und sich – nach zwanzig Jahren – unser Blut vereinte, beide an etwas anderes dachten. Ich daran, dass er mein Mann ist und dass das eher ein Unglück ist als ein Glück. Er daran, dass er Ithaka bald wieder verlassen würde. Doch es war dunkel in meinem Schlafgemach, und wir schwiegen beide.
    Auch jetzt schwiegen wir, in der Nacht, in der ich – seit zwanzig Jahren zum ersten Mal – Helenas Namen aussprach. Der blinde Sänger, den wir eine Zeit lang in unserem Haus hielten, bedachte auch meinen Mann mit herrlichen Attributen. Im Dunklen dachte ich daran, dass ich wieder neben dem »Städtezerstörer« lag – und
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