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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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ich lächelte bitter. Ich weiß, ich bin nicht gerecht. Er, der »Städtezerstörer«, war wirklich das, wofür ihn die Welt hält: der Findige, Unruhige, Schlaue und Mutige, der Forschende und Durchtriebene, also alles in allem der Städtezerstörer. Aber ich wollte meinen Mann bei mir haben. Und in dieser Nacht begriff ich, dass jegliche Hoffnung diesbezüglich vergeblich war.
    Um ihn zu erkennen, musste ich nicht die Narbe an seinem Knie sehen. Von dem Augenblick an, in dem er auf die Insel kam, wusste ich, dass er wieder hier war, in greifbarer Nähe. Mit dem Verstand wusste ich es vielleicht nicht, aber mit dem Herzen, dem Bauch, der Haut. Seine Verkleidung, seine Maskerade konnte mich nicht täuschen. Ich lachte über ihn, als er wimmernd den armen Wanderbettler mimte und erzählte, er komme von Kreta, wo er, der Wanderer, Odysseus bewirtet hätte, der gerade auf dem Weg nach Troja war. Wie naiv ein Mann doch ist, sogar ein schlauer und kluger Mann, wenn er zu einer Frau spricht! Vom ersten Augenblick an, als er das Haus betrat, füllte er unser Leben aus. Er traf bei Neumond ein. Eumaios glaubte nicht, dass er noch in diesem Jahr heimkommen konnte, der Herbst war fast schon vorüber, die Zeit der Wintersonnenwende nahte, und das Meer ließ sich nicht mehr gut befahren. Eumaios wagte es nicht einmal mehr, sich bei den Wanderern nach meinem Mann zu erkundigen, seit ihn ein Aitolier einmal irregeführt hatte. Aber ich wusste, in der Neumondnacht, als unsere Hunde ihn verbellten, dass er wieder da war. Alles, was später darüber gesungen und erzählt wurde, ist reine Erfindung. Ich bin nicht zu ihm geeilt, denn ich wartete und gab acht, was für ein Theater er uns wohl vorspielen würde. Demütig und zerlumpt kam er an. Er verstellte sich und schauspielerte. Ich wartete, und mein Herz füllte sich mit Zorn und Angst. Denn niemand in Ithaka zweifelte daran, dass der Lichtbringer morden würde, wenn er einmal heimkäme.
    Der Seher Theoklymenos, der damals in meinem Hause wohnte, warnte meine Freier vergeblich. Als der freche Bursche Eurymachos den Lichtbringer wegen seiner Kahlköpfigkeit verspottete, die – so sagte es mein Mann später – Athene über ihn gelegt hatte, wusste ich, dass das Theater, das der Heimkehrer uns vorspielte, schrecklich enden würde, so wie die schmetternden Dramen der Griechen. Er verzieh es nie, wenn man über sein Aussehen spottete. Er war sehr eitel.
    Er war also kahl, als er heimkam. Ich weiß nicht, ob dieser Kahlkopf tatsächlich Athenes Werk war. Im Dunklen streckte ich die Hand aus und betastete unter dem Deckmantel der Zärtlichkeit den Körper meines Mannes. Reglos und stumm duldete er es. Ich streichelte seine Brust, die der bitteren Gischt des Meeres ausgesetzt gewesen war, und dann betastete ich kühn seinen ganzen kahlen Kopf … Er setzte sich auf der Liege auf.
    »Ich werde alt«, sagte er kalt und sah mich nicht an.
    »Aber nein, mein Lieber«, sagte ich. »Du hast nur Haarausfall.«
    Ich weiß nicht, welch böser Dämon in meinem Busen wohnte, als ich das sagte. Vielleicht hatte sich eines von Hekates oder Proserpinas hundeköpfigen Unterweltscheusalen in meinem Schlafgemach versteckt. In der Nacht von Ulysses’ Heimkehr, bei Vollmond, hatte ich vergessen, den Käsefladen als Opfer für Hekate in die Mitte der Straßenkreuzung zu legen, und in den vergangenen Monaten hatte ich Proserpina nicht einen einzigen Hund geopfert. Ich hatte mich überschätzt. Er nahm den dicken, selbst gewebten Nachtumhang um die Schultern und stand auf.
    »Ich weiß«, sagte er. »Man kann nicht ohne Folgen tage- und nächtelang auf dem Meer treiben, Penelope. Das bittere Wasser schadet den Haarwurzeln.«
    Er ging zum Tisch, auf dem die Weinkanne und der Mischkrug standen. Jetzt trank er viel mehr als früher. Ich konnte nicht mehr schweigen. Der Dämon bellte in meinem Herzen. Ich beugte mich aus meinem Bett und rief:
    »Man kann nicht ohne Folgen zwanzig Jahre in der Welt herumstreifen. Das schadet nicht nur den Haarwurzeln.«
    Mit ruhigen Bewegungen mischte er sich den Wein. Das silberne Mondlicht floss ihm über die Schultern wie ein Mantel. In dem kalten Licht prüfte er die Farbe des Weines. Beiläufig sagte er:
    »Ich habe gekämpft. Mich rief die Ehre.«
    Ich wusste, dass er wieder log. Die Schatten der Nacht kreischten aus meiner Stimme.
    »Die liederliche Tochter des Schwans hat nach dir gerufen. Vielleicht war gar nicht Leda ihre Mutter, sondern Nemesis selbst. Von guter Art sei
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