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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen
Autoren: Qiu Xiaolong
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besorgen. Dort wird auch Inspektor Rohn absteigen. Das ist praktischer für Sie.«
    »Na ja …« Die Aussicht, in diesem berühmten Hotel zu wohnen, war verlockend. Und ein Zimmer mit Blick auf den Bund würde nicht nur ihm zugute kommen. Als man ihn einmal im Hotel Jinjiang einquartiert hatte, hatte er Yu und seine Familie zu einem heißen Bad eingeladen. Die meisten Familien in Shanghai besaßen kein eigenes Badezimmer, geschweige denn fließend heißes Wasser. Dennoch würde es keinen guten Eindruck machen, wenn er im selben Hotel wohnte wie die amerikanische Kollegin. »Das wird nicht nötig sein, Parteisekretär Li. Ich wohne nur zehn Minuten von dort. Das Geld kann das Präsidium sich sparen.«
    »Recht so. Wir sollten immer der bewährten Parteimaxime folgen: Lebe einfach und arbeite hart.«
    Als er Lis Büro verließ, überkam ihn eine flüchtige Erinnerung daran, was er vor nicht allzu langer Zeit in einem anderen Hotel erlebt hatte.
    Wie kann Erinnerung wiederbringen, was damals längst verlorenging?
    Er hämmerte gegen den Aufzugknopf. Wieder einmal war der Aufzug steckengeblieben.
     

3
     
    D AS F LUGZEUG hatte Verspätung.
    Das fängt ja schon gut an, dachte Chen, während er am Shanghaier Flughafen Hongqiao wartete. Er starrte auf die Anzeigentafel mit den Ankunfts- und Abflugzeiten, die doch nur seine eigene Frustration widerzuspiegeln schien.
    Der Nachmittag draußen vor den Fenstern war klar und frisch, doch die Sicht auf dem Tokyoter Flughafen Narita war laut Angaben des Auskunftsschalters sehr schlecht, weshalb die dort umsteigenden United-Airlines-Passagiere, einschließlich Catherine Rohn, auf besseres Wetter warten mußten.
    Der geschlossene Flugschalter wirkte auf unerklärliche Weise bedrohlich.
    Er mochte diesen Auftrag nicht, obwohl sich ausnahmsweise alle im Präsidium einig waren, daß er der richtige Mann dafür war. Im neuen Anzug und mit unbequem eng geknoteter Krawatte stand er da, die Aktenmappe unter den Arm geklemmt, und nutzte die Wartezeit, indem er übte, was er Inspektor Rohn zur Begrüßung sagen wollte.
    Die meisten Leute auf dem Flughafen schienen dagegen bester Laune zu sein. Ein junger Mann spielte vor lauter Aufregung ständig mit seinem Handy herum. Eine Gruppe von fünf oder sechs Personen, die offenbar zu einer Familie gehörten, schickte alle paar Minuten einen Späher zur Anzeigentafel. Ein Mann mittleren Alters versuchte, einer Gleichaltrigen ein paar Brocken Englisch beizubringen, gab aber schließlich mit freundlichem Kopfschütteln auf.
    Oberinspektor Chen machte sich währenddessen auf seinem Eckplatz Gedanken über Wens Aufenthaltsort. Eine Entführung durch örtliche Triaden schien ihm die wahrscheinlichste Erklärung für ihr Verschwinden. Natürlich konnte sie auch einen Unfall gehabt haben. In beiden Fällen waren nur in Fujian weitere Hinweise zu bekommen. Doch er war hier in Shanghai dazu vergattert, sich um Inspektor Rohns Sicherheit und Zufriedenheit zu kümmern. Für Sicherheit war gesorgt, aber wie sollte er sie zufriedenstellen? Wie konnte er sie davon überzeugen, daß die chinesische Polizei ihr Bestes tat, wenn es den Kollegen in Fujian nicht gelänge, Wen zu finden?
    Unwahrscheinlich war, daß Wen aus freien Stücken untergetaucht war. Angeblich hatte sie bereits vor Monaten ihren Paß beantragt und war deswegen auch mehrfach in die Provinzhauptstadt Fuzhou gefahren. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt untertauchen? Und wenn sie einen Unfall gehabt hätte, wäre dies mittlerweile bekannt.
    Es gab natürlich auch die Möglichkeit, daß die Pekinger Behörden einen Rückzieher zu machen versuchten. Sobald nationale Interessen berührt wurden, war alles möglich. Wenn dem so wäre, könnte er sich bestenfalls lächerlich machen; er wäre nichts weiter als ein marmorner Go-Stein, der auf einem Spielbrett umhergeschoben wurde, um den Gegner abzulenken.
    Er beschloß, daß weiteres Spekulieren sinnlos war. In einer Rede hatte Genosse Deng Xiaoping Chinas Wirtschaftsreform einmal mit dem Durchwaten eines Flusses verglichen, das von Stein zu Stein erfolgen müsse. Wer die Probleme, die vor ihm liegen, nicht kennt, kann sie nicht vorausschauend vermeiden. Das traf auch auf ihn zu, und er mußte sich entsprechend verhalten.
    Er griff in seine Aktenmappe, um Inspektor Rohns Foto noch einmal anzuschauen, zog aber statt dessen das Bild einer Chinesin hervor – Wen Liping.
    Ein schmales, verhärmtes, von unordentlichem Haar umrahmtes Gesicht, blaß, mit
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