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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen
Autoren: Qiu Xiaolong
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aber das ist doch überall auf der Welt so. Man sollte das nicht weiter hochspielen. Wir müssen immer den makellosen Ruf unserer Regierung im Auge haben. Sie werden schon wissen, was Sie sagen müssen, Oberinspektor Chen.«
    Er wußte keineswegs, was er sagen sollte. Es würde nicht leicht sein, eine amerikanische Kollegin zu überzeugen, wenn selbst er seine Zweifel hatte. Das Eis unter seinen Füßen war dünn. Politik – Oberinspektor Chen hatte langsam genug davon. Entschieden stellte er seine Teeschale ab.
    »Tut mir leid, Parteisekretär Li, aber ich kann diese Aufgabe nicht übernehmen. Ich bin nämlich gekommen, um über einen anderen Fall mit Ihnen zu sprechen. Heute morgen wurde im Bund-Park eine Leiche gefunden. Die Verletzungen weisen auf einen Triaden-Mord hin.«
    »Ein Triaden-Mord im Bund-Park?«
    »Ja, Hauptwachtmeister Yu und ich sind zu demselben Schluß gekommen. Wir haben allerdings noch keinen Hinweis, welche der Banden für den Mord verantwortlich sein könnte. Ich muß mich auf diesen Mordfall konzentrieren. Er könnte dem Ruf unseres neuen Shanghai schweren Schaden zufügen …«
    »Da haben Sie recht«, unterbrach ihn Li. »Das dürfte ein Fall für Ihre Spezialabteilung sein, aber die Sache mit Wen ist dringlicher. Der Mord im Bund-Park kann warten, bis Inspektor Rohn wieder abgereist ist. Das würde keine allzu lange Verzögerung bedeuten.«
    »Ich glaube nicht, daß ich der richtige Mann für die Ermittlungen im Fall Wen bin. Ein Beamter der Inneren Sicherheit oder des Auswärtigen Amtes wäre da bestimmt geeigneter.«
    »Lassen Sie mich offen sprechen, Oberinspektor Chen. Es handelt sich um eine Entscheidung des Ministeriums in Peking. Minister Huang persönlich hat während der Telekonferenz Ihren Namen ins Spiel gebracht.«
    »Aber warum, Parteisekretär Li?«
    »Inspektor Rohn spricht Chinesisch. Daher legt Minister Huang größten Wert darauf, daß ihr Ansprechpartner nicht nur politisch verläßlich ist, sondern auch gut Englisch kann. Und Sie sind ein junger Kader mit hervorragenden Englischkenntnissen, der außerdem Erfahrung mit der Betreuung westlicher Gäste hat.«
    »Wenn sie Chinesisch spricht, dann sehe ich nicht, warum ihr Partner auf unserer Seite Englisch können muß. Und was meine Erfahrungen als Betreuer angeht, so beschränken sie sich auf den Schriftstellerverband. Das ist etwas völlig anderes; da haben wir über Literatur diskutiert. Für diese Aufgabe wäre ein intelligenter Polizeibeamter bestens geeignet.«
    »Inspektor Rohns Chinesischkenntnisse sind begrenzt. Einige unserer Leute hatten in Washington mit ihr zu tun. Sie hat sie bestens betreut, aber für Pressekonferenzen und ähnliches mußte ein professioneller Dolmetscher engagiert werden. Wir gehen davon aus, daß Sie die meiste Zeit Englisch sprechen werden.«
    »Es ehrt mich, daß Minister Huang an mich gedacht hat«, sagte Chen langsam, während er nach einer offiziell klingenden Ausrede suchte. »Aber ich bin viel zu jung und unerfahren für eine solche Aufgabe.«
    »Wollen Sie damit sagen, das sei ein Job für einen alten Hasen wie mich?« Li seufzte, im Morgenlicht wirkten seine Tränensäcke noch größer. »Lassen Sie die Jahre nicht ungenutzt verstreichen. Vor vierzig Jahren habe auch ich mich für Poesie interessiert. Erinnern Sie sich an die Zeilen von General Yue Fei? ›Verschwende deine Jugend nicht mit Müßiggang /ist dein Haupt erst weiß, / so bereust du es umsonst. ‹«
    Chen war verblüfft. Noch nie hatte Li mit ihm über Poesie gesprochen, geschweige denn ein Gedicht zitiert.
    »Im Ministerium kam noch ein anderes Kriterium zur Sprache«, fuhr Li fort. »Der Kandidat soll ein positives Bild unserer Polizeikräfte vermitteln.«
    »Was genau soll das heißen?«
    »Finden Sie nicht auch, daß Inspektor Rohn ausgesprochen vorzeigbar ist?« Li warf einen Blick auf das Foto. »Und Sie werden auf ideale Weise die chinesische Polizei repräsentieren. Ein modernistischer Dichter und Übersetzer, der mit westlicher Literatur vertraut ist.«
    Das Ganze wurde allmählich immer absurder. Was erwartete man eigentlich von ihm? Er sollte Schauspieler, Touristenführer, Dressman, PR-Experte sein – nur nicht Polizist.
    »Das genau ist der Grund, warum ich diese Aufgabe nicht übernehmen sollte, Parteisekretär Li. Man zerreißt sich über meine Beschäftigung mit westlicher Literatur ohnehin bereits das Maul, spricht von bürgerlicher Dekadenz und schlechten Einflüssen. Wenn ich jetzt eine
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