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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
Autoren: Margot S. Baumann
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gebeten hatte, mitfahren zu dürfen. Auf die Frage nach Max’ Angehörigen hatte sie entschuldigend die Schultern hochgezogen. Eine Oma, hatte sie gesagt, aber sie kenne deren Namen nicht.
    »Kommen Sie, Frau Morlot, wir genehmigen uns jetzt ein Glas Eistee.«
    Der Pfarrer berührte Anouk sanft am Arm, und sie schaute ihn verstört an.
    »Eistee?«, echote sie.
    Der Geistliche nickte. »Der hat Ihnen doch so gut geschmeckt. Und in einer solchen Situation peppe ich ihn auch gerne noch mit einem Schnaps auf.«
    Sie gingen durch den verwilderten Garten des Pfarrhauses zur Laube, wo er ihr ein großes Glas seines Gebräus eingoss. Eine Weile blieben sie stumm. Anouk weinte leise und rieb sich die Arme. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn Max nicht durchkam.
    »Was ist da eben passiert?«, brach sie schließlich das Schweigen. Ihre Hände zitterten, als sie das Glas auf den Tisch stellte. »War das der Teufel?«
    Der Pfarrer betrachtete eine Amsel, die in einer Blechwanne ein Bad nahm. Er betastete seine Beule und wiegte bedächtig seinen Kopf hin und her.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er nach einer Weile. »Auf alle Fälle etwas Böses. Möglicherweise ein Dämon.«
    Anouk lachte. »Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?«
    Der Geistliche verschränkte die Hände vor der Brust und lehnte sich zurück. »Glauben Sie an Gott, Frau Morlot?«
    Sie runzelte die Stirn. Was sollte diese Frage?
    »Ja«, erwiderte sie, »in gewisser Weise.«
    Der Pfarrer zog einen Mundwinkel nach oben. »In gewisser Weise … soso. Und wenn Sie an Gott glauben, an seine Taten und Werke, vielleicht sogar an Wunder, glauben Sie dann nicht auch, dass sein Widersacher genauso real ist wie er selbst?«
    Anouk schwieg einen Moment und fragte dann: »Aber wieso hat der Dämon auf Ihre Beschwörungen reagiert, mein kleines Kreuz jedoch einfach wegschlagen können, ohne davor zurückzuschrecken?«
    Der Pfarrer antwortete zuerst mit einem kurzen, bitter klingenden Lachen und meinte dann: »Ein silbernes Kreuz wirkt nur gegen das Böse, wenn der Träger in seinem Glauben an Gott gefestigt ist. Er darf keine Zweifel im Herzen tragen und muss die göttliche Kraft mit all ihrer Wahrheit angenommen haben. Nur so kann er das Böse besiegen.«
    Anouk nickte verstehend. Sie erinnerte sich an den Gesichtsausdruck des Pfarrers, als er den Dämon bezwungen hatte. Sogar sie hatte in diesem Augenblick gespürt, wie stark der Glaube des Geistlichen war, und dass er sie mit seiner Stärke vermutlich alle vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Aber ihr Verstand weigerte sich noch immer, das Erlebte als unumstößliche Tatsache anzusehen.
    »Wo ist Rufli?«, wechselte sie daher das Thema.
    »Die Polizei hat ihn in Gewahrsam genommen. Es ist besser, wenn der Professor, bevor er anderen oder sich selbst etwas antut, unter ständiger Aufsicht steht.«
    Anouk nickte. »Er wollte uns alle töten«, sagte sie und strich sich wieder über die nackten Arme. »Und das nur wegen dieses Registers; damit keiner von Bernhardine erfährt.«
    Der Priester runzelte die Stirn. »Bernhardine?«
    Anouk zögerte nur einen Augenblick. Der Mann war schließlich Pfarrer und unterlag dem Beichtgeheimnis. Auch drängte es sie, die ganze Geschichte einer dritten, unbefangenen Person erzählen zu können, die sie nicht gleich als Irre abstempeln würde. Der Geistliche hörte ihr ruhig zu, hob zwar ab und zu verblüfft die Augenbrauen, unterbrach sie aber kein einziges Mal.
    Nachdem Anouk geendet hatte, räusperte er sich mehrmals.
    »Um des Professors Worte zu gebrauchen: einfach unglaublich!«
    »Sie glauben mir das alles ohne Wenn und Aber?«, fragte Anouk verblüfft.
    »Das ist mein Job … zu glauben.« Der Pfarrer lächelte. »Ich werde die sterblichen Überreste dieser Bernhardine von Hallwyl, sobald sie freigegeben sind, auf dem hiesigen Friedhof bestatten. Sie sind herzlich dazu eingeladen, aber die Presse möchte ich nicht dabeihaben, einverstanden?«
    Anouk nickte. »Und dann müssen die Bücher angepasst werden, auch wenn die Register jetzt vernichtet sind. Wir haben die Einträge schließlich gesehen. Bernhardine muss rehabilitiert und ihre Kinder müssen wieder ihr zugeschrieben werden. Es soll alles korrekt sein.«
    »Selbstredend.« Der Pfarrer erhob sich und bot ihr seinen Arm. »Begleiten Sie mich?«
    »Wohin?«
    »Zur Morgenandacht«, erklärte er. »Ich denke, Sie haben einen guten Grund zum Beten. Und danach fahre ich Sie ins Krankenhaus, abgemacht?«

    Beim Brestenberg-Bad
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