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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal
Autoren: Ketil Bjørnstad
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sterilen, grauweißen Wände, das Bild einer Gebirgslandschaft, die traurige Leere.
    »Hier ist Anja Skoog gestorben«, sage ich.
    »Solche Zimmer gibt es viele in diesem Krankenhaus«, sagt der Arzt.
    Sie stechen mit Nadeln, schließen Schläuche an, bringen die Apparate zum Brummen und Pfeifen. Die Augen des Arztes sind ohne Gefühl. Gabriel Holst hat die Hand auf meiner Stirn. Die Finger riechen nach Tabak.
    »Ich will gar nicht behaupten, daß du beinahe eine Dummheit gemacht hättest. Du hast deine Freiheit. Aber jetzt bist du hier.«
    »Was ist eigentlich passiert?«
    »Ich habe dich geangelt.«
    »War ich nicht viel zu schwer?«
    »Natürlich. Ich hatte ein Zubehör für Süßwasser und eine der besten Glasfiberruten. Die Sehne 0,25 mm dick, der Löffelköder 10 Gramm schwer. Ich hab ihn mitgebracht.«
    Er zieht den Blinker aus der Tasche und zeigt ihn mir. Er ist schwarz mit gelben Punkten.
    »Willst du ihn haben? Als Erinnerung?«
    »Nein danke.«
    »Er hat dir das Leben gerettet.«
    »Warum ist die Schnur nicht gerissen?«
    »Mit dieser Angel könnte ich theoretisch einen Fisch von 20 Kilo herausholen, obwohl sie nur für maximal drei berechnet ist.«
    »Ich wiege achtzig Kilo.«
    »Aber du hast keinen Widerstand geleistet. Du hast im Wasser gelegen. Du warst bewußtlos.«
    »Ich spürte den Schmerz im Mund.«
    »Das muß gewesen sein, bevor du die Besinnung verloren hast. Natürlich hatte ich Angst, die Schnur könnte reißen, denn die Strömung war stark. Aber ich zog dich in einen Kolk. Du bewegtest keinen Muskel, deshalb war ich davon überzeugt, daß du tot warst. Kannst du dir vorstellen, wie wenig angenehm es ist, die Leiche eines jungen Mannes herauszuziehen, wenn man eigentlich Bachforellen angeln wollte?«
    »Warum warst du in meinem Konzert?«
    »Ich wollte Prokofjew kennenlernen. Der Mann muß nicht ganz richtig im Kopf gewesen sein.«
    »Du bist auch Musiker?«
    Gabriel Holst zuckt die Schultern
    »In gewisser Weise. Aber nicht für Konzertsäle. Ich spiele Baß. Liegend. Und wenn wir über ein Instrument mit solchen Formen sprechen, dann sprechen wir von einer Frau.«
    »Gib mir jetzt doch diesen Angelhaken«, sage ich.
Eingeschlossen
    Es ist ein Tag vergangen. Ein Tag fast ohne Erinnerungen, abgesehen von schweren, zähen Träumen und dem Gefühl, daß zwölf Töne in verschiedenen Farben wiePingpongbälle in meinem Kopf herumspringen. Ich laufe mit einem Schmetterlingsnetz herum, und es gelingt mir nicht, auch nur einen davon zu erwischen.
    Er heißt Gudvin Säffle, norwegisch-schwedische Herkunft, verständnisvoll und mit eindringlichem, südschwedischem Akzent. Wir sitzen in seinem Büro. Er reibt sich energisch die Hände. Sie sind trocken, und ich sehe, daß er Nägel kaut. Außerdem ist er unter Zeitdruck. Der ewige Kampf um die Bettenkapazität.
    »Wo sollen wir anfangen?«
    »Ich bin hier, weil Sie es wollen«, sage ich.
    »Bitte jetzt keine unnötigen Schwierigkeiten«, sagt er tonlos. »Du warst beinahe tot. Wenn man bereits Wasser in der Lunge hat, ist es eine Sache von Sekunden. Außerdem war das Wasser des Flusses sehr kalt. Der Mann, der dich herausgezogen hat, erzählte, daß er dich im Wasser gar nicht gesehen hat. Er spürte nur plötzlich einen Ruck an der Angel.«
    Ich rolle mit der Zunge über die Wunde und nicke.
    »Der Entschluß zu dieser Tat muß viel Energie gekostet haben«, sagt er, während er einen Blick in seine Unterlagen wirft.
    »Nicht sehr viel. Ich wollte nur dorthin, wo sie sind.«
    »Alles hat eine Erklärung.«
    »Komme ich nun heute raus?«
    »Du mußt uns etwas darüber erzählen, was du denkst. Es ist unsere verdammte Pflicht als Fachärzte, uns ein Bild davon zu machen, wer unsere Patienten sind.«
    »Wer hat gesagt, daß ich Ihr Patient bin?«
    »Die, die dich zu mir geschickt haben.«
    »Was kann ich erzählen?«
    »Etwas, was uns die Möglichkeit gibt, besser einzuschätzen, wie es dir im Moment geht.«
    »Marianne hat gesagt, ich würde sie an ›The Only Living Boy In New York‹ erinnern. Damals verstand ich nicht, was sie damit meinte. Aber als sie tot war, verstand ich alles. Sie hat uns beide getötet, aber nur sie war tot.«
    »Das ist ein gefährlicher Gedanke.«
    »Dann eben nicht!«
    Ich merke, daß es mir schwerfällt, zu reden. Mein Mund ist trocken. Ich kann nur mit Mühe Konsonanten hervorbringen.
    »Ich habe in der Zeitung von deinem Debüt gelesen«, sagt Gudvin Säffle plötzlich. Er windet sich auf seinem Stuhl, fühlt sich
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