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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal
Autoren: Ketil Bjørnstad
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dann vielleicht zusammengekommen wären. Weil du auf Anja eifersüchtig warst und später auf Marianne, vom ersten Moment an!«
    »Dann reden wir nicht mehr darüber.« Rebecca preßt die Lippen zusammen, zieht einen Flunsch.
    »Du mußt mich hier herausholen! Ich will ein freier Mann sein, wenn ich zum Begräbnis gehe! Ich möchte wieder zu Hause wohnen. Du mußt mit meinem Arzt reden. Du als Medizinstudentin weißt sicher, was er hören will.«
    Ich sehe den Zweifel in ihren Augen. Sie denkt an Rasierklingen, Pillen und den Strick.
    »Du mußt mir vertrauen!«
    »Und wenn ich das tue, wird alles nur wieder wie vorher«, sagt sie.
    »Nichts kann mehr werden wie vorher«, sage ich.
Schumann mit Säffle
    Ich sitze in Gudvin Säffles Büro, und wir reden wieder über Schumann. Er fragt mich, ob ich schon viel von ihm gespielt habe.
    »Was soll dieses seltsame Gerede über Schumann?« sage ich.
    »Schumann ist interessant«, sagt Gudvin Säffle. »Entweder man liebt Musik oder nicht.«
    »Weil er verrückt wurde? Weil er sich im Rhein ertränken wollte?«
    »Du kennst also seine Tragödie?« sagt Gudvin Säffle überrascht.
    »Na ja«, sage ich. »Ist das die Art, wie ihr Psychologen arbeitet?«
    »Ich bin Psychiater«, sagt er, jetzt sehr bestimmt.
    »Ihr testet meine Psyche am Beispiel eines Komponisten, der seit über hundert Jahren tot ist und von dem ich fast nichts gespielt habe?«
    Gudvin Säffle wird unsicher. »Mit Psychiatern ist es wie mit Musikern«, sagt er. »Wir müssen ausprobieren und feilen. Das ist nicht böse gemeint.«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Was die Musik für dich bei dieser Geschichte bedeutet. Du hast debütiert an dem Abend, an dem sie …«
    »An dem Abend, an dem sie sich erhängte. Reden Sie nicht darum herum. Es ist erst ein paar Tage her.«
    »Richtig. Erst ein paar Tage.«
    Gudvin Säffle nickt.
    »Ein großes Ereignis«, sagt er. »Wenn sich jemand das Leben nimmt, tut er das häufig nach großen Ereignissen. Ist das nicht seltsam?«
    »Das nächste große Ereignis in meinem Leben ist das Begräbnis von Marianne«, sage ich.
    Gudvin Säffle betrachtet mich nachdenklich. »Richtig. Du nimmst mir das Wort aus dem Mund. Wie können wir sicher sein, daß du nicht wieder eine Dummheit machst?«
    »Erstens war es keine ›Dummheit‹. Und zweitens werden Sie nie sicher sein können. Sie wollten über Schumann reden? Dann wissen Sie zweifellos auch, daß er nach seinem Versuch, sich zu ertränken, nie mehr derselbe war wie vorher.«
    »Ja, er war für den Rest seines Lebens psychisch labil.« Erst jetzt merke ich, wie wütend ich bin. Am liebsten würde ich den Schreibtisch, hinter dem er sitzt, umkippen. Statt dessen stehe ich ruhig auf und sage:
    »Sie wollen wissen, was die Musik für mich bedeutet hat. Gabriel Holst erinnerte mich daran, daß alles, was man braucht, um Musik zu machen, zwölf Töne sind. Ein klarer und unzweideutiger Ausgangspunkt. Marianne und ich, wir fanden uns in der Musik! Uns genügten diese zwölf Töne. Also, viel Erfolg mit Schumann, Doktor Säffle. Vielleicht wird er auch Ihnen zu einer neuen und verblüffenden Einsicht verhelfen. Übrigens, ihr habt nicht zufällig hier im Krankenhaus ein gutes, altes Klavier stehen?«
Zurück im Haus der Skoogs
    In dieser Nacht erlebe ich noch einmal das Gefühl, am Grund des Flusses zu liegen, ohne träumen zu müssen. Die Vorstellung, dem Tod so nahe zu sein, wie man ihm als Mensch nur kommen kann, das Gefühl, daß die verschiedenen Teile des Körpers sich zu schließen beginnen. Daß es dann doch nicht dazu kommt. Ist es Marianne auch so ergangen? Was hat sie in den letzten bewußten Sekunden gedacht? Marianne hatte schon mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen, bevor wir uns begegnet waren. Nach dem ersten Mal, das ich miterlebt hatte, war klar, daß sie es wieder versuchen würde. Aber ich wollte das nie wahrhaben. Als hätte ich im tiefsten Innern gewußt, daß ich sie nicht daran hindern konnte, schob ich diesen Gedanken weg. Es konnte morgen passieren oder in zwanzig Jahren. Aber eines Tages, das war mir klar, würde es soweit sein, so wie mir auch klar gewesen war, daß Anja weitaus schutzloser war, als sie es nach außen zeigte. Meine Entscheidung für Marianne bedeutete, Anja nicht aufgeben zu wollen, in der Aura von Gefahr und Bedrohung, die diese Frauen ausstrahlten, sein zu wollen. War es soeinfach? Kennengelernt hatte ich all das zuerst durch Mutter. Wie ich da in meinem Bett im Krankenhaus liege,
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