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Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Michael Wilcke
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meine Reliquien anpreisen oder Reynold öffentlich seinen Theriak verkaufen würde. Er hatte allerdings nicht angeordnet, dass wir uns von der Stadt fernzuhalten hätten. Also schoben wir den Wagen durch das Tor und zogen durch die Neustadt bis in die südliche Altstadt. Hier hatte fünf Jahre zuvor ein großes Feuer gewütet, und noch immer zeugten in diesem Teil Osnabrücks zahlreiche rußgeschwärzte Ruinen von dem Unglück. Einige der Häuser waren– verstärkt mit dicken Brandmauern – bereits neu errichtet worden, doch dieses Viertel blieb ein trauriger Ort, und darum begaben wir uns in die Nähe der Kirche St. Marien, wo wir uns auf einem schattigen Platz zwischen dem Rathaus und der neuerbauten Stadtwaage niederließen. Hier überlegte ich, was wir unternehmen sollten, um unsere Mägen zu füllen. Unsere Vorräte waren auf eine Handvoll Stockfische und einen halben Krug Dünnbier zusammengeschrumpft. Das reichte nicht einmal aus, um ein Kind wie Mieke davon satt zu bekommen.
    Ohne eine Bühne konnten wir weder die Reliquien noch Reynolds Heiltränke anpreisen, und unsere Börse würde leer bleiben. Ich zerbrach mir den Kopf über dieses Problem, doch auch nach Stunden blieb ich ratlos, und auch Jasmin, die immer wieder leise fluchte, war mir keine Hilfe.
    Am Nachmittag packte Reynold dann einige seiner Flaschen in einen Leinensack und kündigte an, dass er von Haus zu Haus gehen wolle, um seinen Theriak zu verkaufen.
    »Hältst du das für eine gute Idee?«, fragte ich ihn. »Wenn du an einen der Bürger gerätst, die im vergangenen Jahr an deiner Medizin erkrankt sind, könntest du weiteren Ärger heraufbeschwören.«
    »Denen kann ich ja das hier anbieten.« Reynold griff in seine Wamstasche und zeigte mir ein DutzendAmulette. Die Talismane bestanden aus Knochenstücken, geschnitzten Pilgerzeichen oder polierten bunten Steinen. »Diese Amulette bieten Schutz vor dem Bösen und damit auch vor Krankheiten aller Art.«
    »Für den, der daran glaubt«, erwiderte ich skeptisch.
    »Ich glaube daran«, sagte er. »Ihr könnt hier natürlich weiterhin träge auf euren Ärschen sitzen. Ich werde versuchen, Proviant aufzutreiben.«
    »Was auch nur recht und billig ist«, sagte ich. »Schließlich haben deine verpfuschten Tränke uns das Geschäft verdorben.«
    Reynold zog ein enttäuschtes Gesicht. »Du solltest mich mit mehr Respekt behandeln, Emanuel. Ich bin der Ältere von uns beiden.«
    »Aber nicht der Klügere«, provozierte ich ihn erneut.
    Reynold schulterte den Leinensack und wirkte verstimmt. »Eines Tages werde ich davongehen«, sagte er. »Und dann seht ihr Lumpenmenschen mich niemals mehr wieder.«
    »Und an diesem Tag werde ich Christus auf Knien danken«, entgegnete ich ihm.
    Reynold knurrte nur abfällig und ging davon. Ich schaute zu Jasmin, doch die ersparte sich jedwede Erwiderung und schüttelte nur den Kopf.
    Nachdem Reynold also gegangen war, vertriebenwir anderen uns die Zeit mit dem Versuch, verschiedene Kunststücke einzuüben, mit denen man zur Not die eine oder andere Münze erbetteln konnte. Diese Versuche waren jedoch von keinem großen Erfolg gekrönt. Wie ich es zuvor bereits erwähnt hatte, besaß keiner von uns eine Begabung für diese Fertigkeiten. So war es kein Wunder, dass es weder Jasmin noch mir gelang, mit drei Bällen zu jonglieren, noch hatte Mieke Erfolg damit, mehr als zwei Schritte auf Händen zu laufen, ohne unsanft auf dem Boden zu landen. Nach einigen missglückten Übungen verkroch sie sich lustlos auf den Wagen.
    Reynold kehrte schließlich schneller als erwartet zurück. Kaum eine Stunde war vergangen, seit er mit seinem Theriak davongestapft war. Er ließ den Leinensack, in dem es vernehmlich klimperte, vor uns auf das Pflaster sinken. Ich konnte mir eine spöttische Bemerkung nicht verkneifen. »Wie viele Flaschen von deinem Theriak hast du verkauft? Eine vielleicht? Oder hast du alle mit zurückgebracht?«
    Reynold zischte nur abfällig und hockte sich zu uns. Einen verbitterten oder enttäuschten Eindruck machte er aber nicht mehr. Im Gegenteil, er schien bester Laune zu sein und teilte uns auch sogleich mit, was ihn so euphorisch stimmte.
    »Ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie wir uns die nächsten Tage die Bäuche vollschlagen können«,verkündete er stolz. »Auch ohne unsere Bühne und den Theriak.«
    »Hast du das?«, fragte Jasmin skeptisch und zog die Stirn kraus.
    »Ich kenne diesen Blick«, beschwerte sich Reynold. »Für dich bin ich nur ein
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