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Die Frau des Germanen

Die Frau des Germanen

Titel: Die Frau des Germanen
Autoren: Aufbau
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den Gang hinauf und hinab, so, als hätte ihn das Anhalten des Atems aufmerksam gemacht, als
     wäre ihre Angst laut und verräterisch. Aber die aufgeschreckte Wachsamkeit des Wärters schlief schnell wieder ein. Sie sah,
     wie er die Schultern zuckte und weiterging. So langsam, |14| als hielte er es für möglich, dass sich in seinem Rücken die Erleichterung frühzeitig verriet.
    Es war unnötig, dass Hermut sie daran hinderte, zu früh ins Leben zurückzukehren, zu früh auszuatmen und den ersten Schritt
     zu tun. Sie nickte unmerklich und wartete. Darauf, dass die Schritte des Wärters endgültig verklangen oder aber zurückkehrten.
    Dem Versteck gegenüber befand sich das Verlies einer Frau. Schmutzige Hände klammerten sich ans Gitter, ihr Gesicht war deutlich
     zu erkennen. Kein junges Gesicht, mit Augen, die doppelt so alt waren wie ihr Körper. Helle Augen, hell noch im Dunkel der
     Katakomben. Sie berührten etwas in ihr, etwas, was vor langer, langer Zeit von Bedeutung gewesen war. In einem anderen Leben
     …
    Sie legte die Hände auf ihre Brust, fühlte den harten Stahl, der dort verborgen war, spürte nun auch die Kraft, die von ihm
     ausging, und machte einen Schritt auf den Gang zurück.
    «Komm!«, flüsterte sie und schlich weiter zum nächsten Verlies, starrte hinein, schlich weiter. »Schnell!«
    Schon nach wenigen Schritten begriff sie, dass Hermut nicht mehr an ihrer Seite war. Erschrocken drehte sie sich um und sah,
     dass er vor dem Verlies der Frau stand. Sie hörte ihn einen Namen flüstern. Verstehen konnte sie ihn nicht, dennoch berührte
     sein Klang etwas in ihr. Ein heller spitzer Laut, auf den sich ein weiter Vokal öffnete. Es war, als würde sie diesen Namen
     gut kennen. Wieder hörte sie Hermut flüstern. Und diesmal verstand sie den Namen genau.
    »Inaja!«
    Sie starrte ihn an, sah das Zittern seiner Lippen, sah, dass seine Augen in einem Tränenteich schwammen. Die Falten schienen
     sich tiefer in sein Gesicht gegraben zu haben. Er bewegte sich nicht, auch hinter dem Gitter gab es keine Regung. In der Ferne
     war das Brüllen eines Löwen zu hören, Wasser tropfte von der Gewölbedecke, der Lärm von den Zuschauerrängen rückte näher,
     die Stille begann sich zu füllen.
    |15| Sie spürte, dass sie den Kopf schüttelte. Nein, der Name durfte keine Bedeutung haben. Sie hatten ein Ziel, ein großes Ziel.
     Nur darauf kam es jetzt an.
    »Komm, wir müssen uns beeilen!«, zischte sie.
    Aber Hermut beachtete sie nicht. Nun streichelte er die Hände der Gefangenen, die sich noch immer ans Gitter klammerten, und
     legte seine Stirn auf ihre Fingerknöchel.
    Noch einmal versuchte sie es. »Das ist nicht Inaja! Sie kann es nicht sein. Inaja ist verschwunden. Schon lange! Seit über
     zwanzig Jahren!«
    Die Verzweiflung würgte sie, ein Schluchzen stieg in ihre Kehle, das sie schwach und hilflos machte. Sie durften nicht von
     ihrem Plan abweichen, sie mussten weiter.
    »Sie hat dich betrogen«, rief sie – viel zu laut, viel zu schrill! »Sie wird längst für ihren Verrat bezahlt haben!«
    Aber aus Hermut war alle Kraft gewichen. Und als sie ihn weinen hörte, begriff sie, dass er sie allein gelassen hatte. Es
     war keine Zeit mehr, ihn zurück an ihre Seite zu holen.
    Der Gang, der von einem Verlies vor das nächste Gitter führte, wurde enger, aber auch heller, weil an seinem Ende ein paar
     Stufen ins Leben hinaufführten, wo die Sonne schien. Zögernd ging sie dem Lichtschein entgegen. Dann endlich war sie angekommen.
     Hinter dem nächsten Gitter sah sie seine blonden Haare, seine helle Haut. Der Hüne, der bald gegen den weißen Löwen kämpfen
     musste, erhob sich vom Boden, als sie ans Gitter trat. Sehr aufrecht stand er da, als fürchtete er kein wildes Tier. Sein
     Körper war kräftig, der Brustkorb breit, die Muskulatur seiner Arme stark ausgeprägt. Er verlor seine aufrechte Haltung auch
     dann nicht, als er begriff, wer vor ihm stand.
    »Ich bin deine Mutter, Thumelicus. Sieh mich an! Deine Mutter!« Sie wiederholte diese Worte ein ums andere Mal, bis es endlich
     einen Widerhall in seinen Augen gab.
    »Mutter?«
    Sein Blick irrte über ihr Gesicht, als suchte er etwas, eine Erinnerung, einen Beweis. Sie hielt den Atem an. Als sie ihren
     Plan |16| fasste, hatte sie nicht bedacht, dass er scheitern konnte, weil er ihr nicht glaubte.
    Dann jedoch ging endlich ein Lächeln über sein Gesicht. »Wie hast du mich gefunden?«
    Sie schüttelte den Kopf, es war keine Zeit für
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