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Die Frau am Tor (German Edition)

Die Frau am Tor (German Edition)

Titel: Die Frau am Tor (German Edition)
Autoren: Ben Worthmann
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anschickte, das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
    „ Nun, wir können es auch erstmal andersherum probieren. Ich erzähle Ihnen, wie sich die Sache darstellt, und Sie korrigieren mich gegebenenfalls. Also: Sie hielten sich in der Wohnung von Frau Uhlenbrock auf, Ihrer Lebensgefährtin, wie man ja wohl sagen kann, und dort ist es – ich drücke es mal ganz neutral aus – zu einer Situation gekommen, in deren Folge sich Frau Uhlenbrock eine schwere Kopfverletzung zuzog. Richtig, Herr Kessler?“
    Er nickte stumm.
    „ Gut, da sind wir doch schon mal einen Schritt weiter und wir können uns die ganze Prozedur mit Stimmenvergleich und Zeugengegenüberstellung ersparen. Wir wissen genau, wann der Notruf einging, und Sie waren die einzige andere Person, die sich zu diesem Zeitpunkt in Frau Uhlenbrocks Wohnung aufhielt. Korrekt?“
    „ Ja, ja, es stimmt. Es war ein Unfall, ein schrecklicher Unfall“, sagte er matt und richtete sich ein Stück in seinem Sessel auf.
    „ Ein Unfall...hm. Und wieso haben Sie sich dann vom...äh...Unfallort entfernt, statt das Eintreffen der Rettungskräfte abzuwarten, was doch wohl eigentlich normal gewesen wäre? Ihre Lebensgefährtin liegt blutend und bewusstlos auf dem Boden des Badezimmers und Sie gehen einfach weg. Was soll man denn davon halten?“
    „ Ich war in Panik, ich habe den Kopf verloren, als sie dort plötzlich lag. Dass es falsch war, nicht bei ihr zu bleiben, ist mir inzwischen auch klar“, entgegnete er mit jetzt etwas festerer Stimme.
    „ Robert Kessler, der weitgereiste Reporter und Kriegsberichterstatter, verliert die Nerven beim Anblick von ein bisschen Blut“, konstatierte der große Mann mit einem kaum verhohlenen Anflug von Sarkasmus. „Kaum zu glauben, dass Sie so zartbesaitet sind.“
    „ Hören Sie, das geht aber nun zu weit!“ Auf einmal verspürte er etwas wie Trotz. Doch sein Versuch, aus dem Sessel aufzuspringen, scheiterte im Ansatz und er sackte mit weichen Knien zurück.
    „ Nun bleiben Sie mal ruhig“, empfahl der Große und musterte ihn nachdenklich. „Außerdem wirken Sie ziemlich derangiert, wenn ich das mal so sagen darf. Jedenfalls wäre es nicht verkehrt, wenn Sie sich vorher etwas frisch machen und am besten auch etwas anderes anziehen würden.“
    „ In meiner Wohnung kann ich herumlaufen, wie ich will“.
    „ Tja, in Ihrer Wohnung schon...“
    „ Was soll denn das nun heißen?“ Er merkte, wie ihm der Schweiß ausbrach, die eigene Stimme dröhnte in seinem Schädel.
    „ Vielleicht möchten Sie bei der Gelegenheit auch gleich noch ein paar Sachen einpacken, nur vorsichtshalber“, kam es von dem Kleinen.
    Seine Kollege nickte zustimmend und fuhr dann in geschäftsmäßigem Ton fort:
    „ Herr Kessler, sehen Sie, wir machen hier auch nur unsere Arbeit. Und das bedeutet, dass wir es Ihnen leider nicht ersparen können, mitzukommen.“
    „ Aber es war ein Unfall, nur ein Unfall!“
    „ Nun, das wird sich dann zeigen. Seien Sie sicher, dass wir alles tun werden, um herauszufinden, wie es zu den Verletzungen gekommen ist. Und damit meine ich jetzt nicht nur die am Kopf, sondern vor allem auch die Druckstellen am Oberkörper, genauer, an den Armen. Natürlich werden wir Frau Uhlenbrock auch selbst dazu befragen, sobald Sie vernehmungsfähig ist.“
    „ Soll das heißen....?“ Er schaffte es nicht, den Satz zu beenden.
    „ Frau Uhlenbrock hat ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Sie liegt im Koma. Das ist der aktuelle Stand der Dinge.“
    Obschon er saß, hatte er absurderweise das Gefühl, als würden ihm die Beine wegknicken. In seinen Ohren war ein Rauschen, durch das wie von Ferne die Stimme des älteren Beamten zu hören war, der seinen Kollegen anwies, ein Glas Wasser aus der Küche zu holen. Dann trank er und bekam Fetzen eines kurzen Dialogs zwischen den beiden mit, in dem es offenbar um die Frage ging, ob sie nicht besser einen Arzt rufen sollten.
    Nein!, schrie es in ihm, und das galt nicht nur dem, was er über Eva erfahren hatte, sondern es war ein ganz grundsätzliches Nein, gegen alles, auch gegen sich selbst und seine aktuelle Lage. Es war das Nein der Auflehnung gegen den eigenen moralischen Untergang.
    „ Nein“, sagte er laut und bestimmt, schob die Hand mit dem Wasserglas zur Seite und stand mit einem Ruck auf. „Es geht schon. Und, ja, natürlich komme ich mit.“
    Im Hinausgehen sagte der Große: „Übrigens geht es nicht nur um Frau Uhlenbrock. Aber das können Sie sich sicherlich
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