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Die Frau am Tor (German Edition)

Die Frau am Tor (German Edition)

Titel: Die Frau am Tor (German Edition)
Autoren: Ben Worthmann
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nicht vor fremden Menschen zeigen! Er hastete ins Schlafzimmer und zog das Zeug vom Vortag an, die Jeans und das Polohemd, die über dem Hocker neben dem Bett lagen, und schlüpfte in seine Schuhe. Dann griff er wieder nach dem Telefon – und zögerte abermals. Er musste an die Fragen denken, die man ihm stellen würde, man würde wissen wollen, wie es im einzelnen zu diesem Unfall gekommen war, und bestimmt würden die Druckstellen an Evas Handgelenken bemerkt werden. Und was würde sie sagen, wenn sie wieder zu sich käme? Und was wäre erst, wenn sie nicht......? Nein, diesen Gedanken wollte er nicht zu Ende denken.
    Er nahm seine Jacke vom Garderobenhaken, überzeugte sich davon, dass sich die Brieftasche darin befand, wählte den Notruf, nannte die Adresse, drängte, es sei eilig und verließ die Wohnung. Die Tür zog er nicht zu, sondern ließ sie angelehnt.

29.
    Als er unten aus dem Haus trat, fiel ihm sein Koffer ein, der gepackt im Flur stand. Und beim Anblick von Evas Mini-Cooper am Straßenrand kam ihm die Idee, dass er, wenn er noch einmal hinaufginge, auch gleich den Autoschlüssel aus ihrer Handtasche nehmen könnte. Dann brauchte er nur noch den Koffer in ihren Wagen zu laden und loszufahren. Doch er kam nicht dazu, diese, wie er fand, wirklich gute Idee in die Tat umzusetzen, denn währenddessen hatte er bereits, ohne darauf zu achten, die Haustür hinter sich zugezogen. Und irgendwo anklingen wollte er nicht. Das wäre wohl nicht klug gewesen.
    Er versuchte sich darüber klar zu werden, was jetzt überhaupt noch klug und vernünftig sein mochte, gelangte aber zu keinem befriedigenden Ergebnis, abgesehen höchstens von der Erkenntnis, dass es ihm entsetzlich schwer fiel, so etwas wie einen klaren Gedanken zu fassen.
    Er wollte gehen, wusste aber nicht, wohin. Hier stehen bleiben konnte er aber erst recht nicht. Die kaum befahrene, von alten Kastanienbäumen gesäumte Straße hatte mit ihrer schattigen Idylle etwas Unwirkliches. Er blickte erst in die eine, dann in die andere Richtung und wandte sich dann in Richtung Innenstadt. Spielte das überhaupt noch eine Rolle, in welche Richtung er ging? Nein, im Grunde war das völlig gleichgültig.
    Er war noch nicht weit gekommen, da hörte er den Lärm des Martinshorns, und dann tauchte auch schon der Rettungswagen auf, gefolgt vom Fahrzeug des Notarztes. Er zuckte zusammen und duckte sich halb hinter einen Baum. Zwei Frauen, die mit Einkaufstaschen vorbeikamen, schüttelten bei seinem Anblick den Kopf, blieben kurz stehen und musterten ihn. Er fühlte sich wie ertappt und verließ seine Deckung, bis die beiden ihren Weg fortsetzten. Dann ging er selbst weiter, mit verhaltenen, unsicheren Schritten, und beobachtete, wie die beiden Fahrzeuge mit rotierendem Blaulicht vor Evas Haus stoppten und die Männer ausstiegen, zwei mit einer Trage, einer mit einem Koffer. Es dauerte einige Sekunden, bis sie in dem Haus verschwanden.
    Er spürte eine saure Übelkeit in sich aufsteigen, begleitet von dem starken Drang, weg zu gehen, nur weg, aber als noch stärker erwies sich eine andere Macht, die ihn festhielt und zwang, zu bleiben und zu warten und weiterhin wie gebannt zu schauen. Nach einiger Zeit kamen die beiden Sanitäter mit der Trage wieder heraus, schoben sie in den Wagen und stiegen ein. Er kniff die Augen zusammen, doch auf die Entfernung ließ sich einfach nicht genau ausmachen, ob die Trage leer war oder nicht. Kurz darauf kehrte auch der Arzt mit dem Koffer zurück. Dann entfernten sich beide Fahrzeuge – der Rettungswagen voran, zügig, aber ohne Blaulicht, der andere mit einigem Abstand.
    Er wartete noch eine Weile ab in der Hoffnung, dass sich die Lähmung, die seinen Körper und sein Bewusstsein erfasst hatte, allmählich verflüchtigen würde. Sein Kopf fühlte sich völlig leer an, aber widersinnigerweise kam es ihm gleichzeitig so vor, als drohe sein Schädel jeden Augenblick zu zerspringen. Er schwitzte und fröstelte in einem, als er endlich wieder zu gehen beginnen konnte. Ein Ziel wusste er noch nicht, aber das war auch einstweilen nicht so wichtig. Irgendeines würde sich schon ergeben.
    An einer Bushaltestelle fand er einen Stadtplan und studierte ihn ausgiebig, da seine Ortskenntnisse begrenzt waren. Außer der Straße, in der Eva wohnte, sowie dem Park von Sanssouci kannte er von dieser Stadt so gut wie nichts. Er hatte auch nie ganz verstanden, weshalb so viele Menschen von ihr schwärmten. Diese Mischung aus preußischer Tradition und
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