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Die Frau am Tor (German Edition)

Die Frau am Tor (German Edition)

Titel: Die Frau am Tor (German Edition)
Autoren: Ben Worthmann
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Kollegen vom Kriminaldauerdienst bei uns durchläuteten und uns berichteten, was der alte Herr ungefragt so alles zu erzählen hatte, dachten wir nur: das gibt’s doch gar nicht.“
    Da hatte lediglich ein in Berlin ansässiger Mann wegen des Verdachts einer in Potsdam begangenen Körperverletzung vernommen werden sollen – und plötzlich war man mitten drin in dem Fall Julia Gerlach, die dort beim Haus dieses Mannes sogar gesehen worden war, genau so wie Heiko Krollmann, eines der beiden Todesopfer, die es im Zusammenhang mit dem Verschwinden der Frau gegeben hatte.
    Kessler wollte wissen, was mit dem Arzt sei, dem Psychiater Dr. Ernst S.; sie hatten ihm ohne weiteres abgenommen, dass er hiermit nichts zu tun hatte.
    „ Tja, das ist so eine Sache“, sagte der große Mann. „Er ist die Kellertreppe hinuntergefallen und hat sich den Kopf aufgeschlagen, ist aber noch glimpflich davongekommen, mit einer Platzwunde und einer Gehirnerschütterung. Kann sein, dass er nur gestolpert ist, als er neuen Wein heraufholen wollte. Er ist ein großer, dicker Mann und hatte einiges intus.“
    Kessler erinnerte sich an die steile, steinerne Treppe und daran, wie er zusammen mit Julia Gerlach den Leichnam des erstochenen Oliver Rensings dort hinunterbugsiert hatte.
    „ Kann allerdings auch sein, dass die freundliche Gastgeberin ein bisschen nachgeholfen hat“, ergänzte der Beamte mit einem sardonischen Lächeln.
    „ Aber warum? Weshalb sollte sie das getan haben?“
    „ Warum, warum – das ist die große Frage. Warum hat sie Oliver Rensing ein Küchenmesser in die Brust gestoßen? Warum hat sie Heiko Krollmann Betablocker in den Wein getan? Letzen Endes werden wir als Polizeibeamte das nie in Erfahrung bringen können. Das können höchstens die Psychiater herausfinden. Aber dazu müssen wir die Dame erst einmal haben.“
    Was sie Kessler hinsichtlich Rensings erzählt hatte – angebliche Notwehr – und dieser bei seiner Vernehmung exakt so zu Protokoll gab, erschien im Lichte des zweiten Fall natürlich höchst fragwürdig. Sie hatte Krollmann eindeutig vorsätzlich getötet, heimtückisch, durch ein Medikament, das in seinem Körper wie Gift wirkte. Insofern lag der Verdacht durchaus nahe, dass sie auch den Arzt umzubringen versucht hatte, indem sie ihn die Kellertreppe hinunterstieß.
    Es war inzwischen weit nach Mitternacht. Ein paarmal hatte sich der große Mann zwischendurch eine Pause gegönnt und die Vernehmung durch seinen jüngeren Kollegen führen lassen. Etliche Male war ein neues Band für die Aufzeichnung eingelegt worden. Kessler registrierte bei sich einen Zustand, in dem Müdigkeit längst keine Rolle mehr spielte und fand das nicht einmal besonders verwunderlich.
    „ Was ich nicht ganz verstehe: Wieso hat ihr Mann es eigentlich riskiert, wegzufahren, auf Dienstreise zu gehen, wo sie doch lediglich Freigang aus der Klinik hatte? Ich meine, wie konnte er sie allein lassen?“ Diese Frage hatte ihm bereits seit längerem auf der Zunge gelegen und nun stellte er sie einfach.
    „ Ehrlich gesagt, so richtig verstehen wir das auch nicht“, erwiderte der große Mann und schaltete, wie auch schon einige Male zuvor, wenn Kessler Fragen gestellt hatte, das Aufnahmegerät kurz ab. „Aber ich glaube, es ist für einen Außenstehenden nahezu unmöglich, solch eine Ehe, solch eine Beziehung zwischen einem gesunden Mann und einer psychisch gestörten Frau zu verstehen oder gar zu beurteilen. Ein Zuckerschlecken ist das für den gesunden Partner sicher nicht. Jedenfalls war die Reise enorm wichtig für ihn. Und er hatte sich ja abgesichert. Die Experten in der Klinik und vor allem dieser Dr. S., der ein Vertrauter beider Gerlachs ist, hatten ihm sogar regelrecht zugeraten – Konfrontationstherapie nennen sie so etwas.“
    Kessler nickte. Sie blickten einander an, wie in stillem Einverständnis, dass es nun bald geschafft war.
    „ Eine Frage habe ich jetzt aber noch, tut mir leid, dass ich sie Ihnen nicht ersparen kann. Aber es ist wichtig für das Gesamtbild“, sagte der Beamte und schaltete das Band wieder ein. Kessler ahnte, was kommen würde, spielte kurz mit dem Gedanken, sich diese eine Lüge zu gestatten – und verwarf ihn sofort.
    „ Hatten Sie eigentlich Sex mit ihr an jenem Abend, an dem Sie ihren Ausführungen zufolge sehr lange bei ihr waren? Sie haben sich über den Verlauf bisher ein bisschen sehr allgemein geäußert.“
    „ Ja, hatte ich“, sagte er.

33.
    Er verbrachte eine kurze, traumlose
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