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Die Flucht: Roman (German Edition)

Die Flucht: Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht: Roman (German Edition)
Autoren: Jesus Carrasco
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nach vermutete er einen kleinen Nager, der am Boden herumschnüffelte. Er musste sich schleunigst entknoten, den Brustkorb strecken, sich den Lehm abschütteln, seine Hose auslüften, einfach raus aus dem Loch. Ihm blieb einzig, sich zu vergewissern, dass das Geräusch, das ihn geweckt hatte, keine Gefahr für ihn bedeutete. Er reckte den Oberkörper und hob die geschichteten Zweige ganz leicht mit dem Kopf an, sodass sich ein schmaler Spalt auftat, durch den eretwas sehen konnte. Wenige Zentimeter von seinem Unterschlupf entfernt durchstöberte eine Feldmaus mit der Schnauze die eingerollten Blätter der Olivenbäume. Zweig für Zweig baute der Junge sein kleines Dach ab, streckte den Kopf hinaus und ließ ihn wie ein Periskop in alle Richtungen kreisen, bis er den gesamten Olivenhain abgesucht hatte. Außer der Maus, die zwischen den aufgehäuften Resten vom Baumschnitt verschwand, konnte er keinen weiteren Hinweis auf Leben entdecken. Als er aus seinem Loch hinauskroch, hatte das fahle Licht eine staubig rötliche Textur angenommen. Keine Sonne mehr am Horizont, nur ein blassgelber Lichtschimmer, der von Westen schräg auf die Ebene fiel und die Schatten auf den Stoppelfeldern in die Länge zog. Der Junge streckte sich in jede erdenkliche Richtung. Wand sich, ging in die Hocke, erhob sich, stampfte mit den Füßen auf und vergaß für einen Moment, dass er sich auf der Flucht befand, weshalb er nicht auf die regelmäßigen Lehmmuster achtete, die sich von seinen Sohlen lösten. Seine Hose war nach wie vor feucht. Er spreizte die Beine und zog mit den Fingern an dem auf der Haut klebenden Stoff. Hätte er sich im Winter davongemacht, so dachte er, würde er jetzt erfrieren.
    Schon vor Monaten hatte er sich diesen Platz gesucht, die dem Dorf nächstgelegene bewaldete Fläche. Damals hatte er weder gewusst, zu welcher nächtlichen Stunde er fortkommen, noch wie viel Zeit ihm zur Verfügung stehen würde, um sein Versteck zu erreichen. Wäre er in eine andere Richtung geflohen, hätten ihn seine Häscher noch aus Hunderten von Metern Entfernung erspäht.Hier boten ihm wenigstens die Olivenbäume einen gewissen Schutz. Innerhalb dieser Parzelle hatte er wiederum den nördlichen Rand gewählt, von dem aus sich ihm die umfassendste Sicht auf die gesamte Ebene bot, mit der er es würde aufnehmen müssen.
    Er entkleidete sich und hängte seine Sachen über ein paar tieferliegende Äste, um sie auszulüften. Ihm fiel seine gedunsene Haut auf und dass er übel roch. Umherflatternde Ringeltauben suchten zwischen den Baumwipfeln nach einer Zuflucht für die Nacht. Nachdem er sich den Körper nach Art der Elefanten mit trockener Erde abgerieben hatte, fühlte er sich besser. Er zog den Proviantsack aus dem Erdloch hervor und schritt die Olivenbaumreihe ab, die unmittelbar an die weite Ebene grenzte, bis er eine Stelle gefunden hatte, die ihm zusagte. Dort setzte er sich nackt, wie er war, auf den Boden und lehnte den Rücken an einen knorrigen Baumstamm. Die kleinen Steinchen bohrten sich ihm in die Pobacken, und die Baumrinde stach ihn in den Rücken. Als er es sich einigermaßen bequem gemacht hatte, kramte er einen Brocken Hartkäse und einen Brotkanten aus seinem Proviantsack hervor. Während er den Käse verschlang, schaute er zu, wie die Nacht sich der Erde bemächtigte. Über seinem Kopf gurrten die Tauben in den Wipfeln der Olivenbäume. Mit seinen fettigen Fingern schälte er die Rinde ab und machte, als er fertig war, Anstalten, sie wegzuwerfen, hielt aber mitten im Schwung inne, gerade noch rechtzeitig, bevor das Stück durch die Luft flog. Er musste an die Männer denken, die am Morgen nach ihm gerufen hatten. Er drehte sich zum Olivenhain um und stellte sich diedunklen Gestalten seiner Verfolger vor und wie sie seinen Namen riefen. Dann wandte er sich wieder der kargen Ebene zu und verstaute den restlichen Proviant in seinem Leinensack. Da aber sein Hunger noch lange nicht gestillt war, durchwühlte er erneut seine Habseligkeiten, obwohl er wusste, wenn er jetzt den restlichen Käse verzehrte, bliebe ihm nur noch eine halbe Räucherwurst. Die packte er aus und hielt sie sich unter die Nase. Mit geschlossenen Augen sog er den aromatischen Duft von Pfeffer und Zimt ein. Leckte an der Fleischstange. Als er gerade hineinbeißen wollte, erschienen ihm erneut die Schatten seiner Häscher, und so blieb ihm nur, die Wurst für einen Moment noch größerer Not aufzuheben, der zweifellos nicht lange auf sich warten lassen
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