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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Simone Neumann
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Herrenscheuer den Eindruck gewann, sie hätten weitaus mehr von dem kläglichen Getreidefeld des Grundherrn geerntet. Es war der zweite Tag des Frondienstes, den die Leute aus dem Dorf auf den Gütern ihres Beschützers und Pachtgebers leisten mussten. Und es würde voraussichtlich der letzte sein, denn die Arbeit war schneller getan als befürchtet.
    » Es ist ohnehin alles verdorben « , wandte sich nun Ulrich, der ebenfalls auf dem Feld arbeitete, an Johann. » Wenn du mich fragst, das Zeug kann man nur noch zerstampfen und den Schweinen zum Fraß vorwerfen. Sieh es dir an « , und dabei brach er eine Ähre und hielt sie dem jungen Burschen unter die Nase. » Faulig ist es. Und stinken tut’s auch. Wie will man davon ein gutes Korn erhalten? «
    » Besser als nichts, Ulrich « , erwiderte Johann gut gelaunt und reichte Marie das fertige Bündel zurück. Er war, mit Ausnahme ihres Gatten Ulrich, der Einzige auf diesem Feld, der freundlich zu ihr war. Alle anderen Dienste leistenden Leute aus dem Dorf beachteten sie entweder gar nicht oder warfen ihr schiefe Blicke zu. So auch jetzt, wo Marie sich absichtlich dumm anzustellen schien, um sich von dem schönen Jüngling helfen zu lassen, während ihr Gemahl arglos danebenstand. Besonders die Frauen schüttelten darüber verächtlich die Köpfe.
    Auch als sie am Mittag am Rande des Feldes inmitten eines Eichenhains saßen, um auf dem feuchten, moosigen Untergrund, geschützt vor dem trüben Nieselregen, ein bescheidenes Mahl einzunehmen, wurde der fremden Frau des Ulrich absichtlich keine Beachtung geschenkt. Alle anderen jedoch hatten ihren Spaß: ulkten, erzählten sich wenig fromme Geschichten, ahmten den stotternden Küster nach und führten lustige Tänze auf. Marie lauschte nur stumm, während sie aus Grashalmen eine Kette flocht, um nicht in die Gesichter blicken zu müssen.
    » Da kommt der Meier « , rief schließlich Johann, als er gerade aufgestanden war, um den anderen vorzuführen, wie er kürzlich zwei alternde Jungfern in Verlegenheit gebracht hatte. » Na, dem werd ich eine Geschichte erzählen, dem Dummhans. Habt ihr noch Lust zu arbeiten, Freunde? «
    Ein eindeutig verneinendes Gemurmel der Umsitzenden gab Johann den Anstoß, sein kühnes Vorhaben in die Tat umzusetzen. Wie, das wusste er noch nicht, aber bis der einfältige Meier bei ihnen war, würde ihm gewiss etwas in den Sinn kommen. Keck wandte er sich noch einmal kurz nach Marie um und kniff dabei ein Auge zu.
    Sie blickte auf und lächelte zurück. Johann war ein freundlicher Kerl. Er mochte vielleicht zwanzig Jahre zählen, war der Drittgeborene eines ordentlichen Bauern und wahrlich das ansehnlichste Mannsbild im Dorf. Und das wusste Johann. Rank und schlank, mit dichtem blondem Schopf und den Augen eines kleinen Jungen, verzückte er jedes Mädchen weit und breit. Das nutzte er durchaus aus, das genoss er, aber das war ihm nicht genug. Johann strebte nach mehr, und eines Tages, da war er sich sicher, würde er seine Siebensachen packen und von dannen ziehen. Allein, es fehlte bisher an der Gelegenheit. Und vielleicht fehlte es ihm auch an Mut. Denn– das hatte Marie längst bemerkt und deshalb mochte sie den Jungen auch besonders gern–, denn im Grunde seines Herzens war Johann scheu wie ein Reh und fromm wie ein Lamm. Jetzt jedoch setzte er wieder seine spitzbübische Miene auf und erwartete mit unschuldigem Blick den sich nähernden Meier.
    Dieser klägliche Mensch, mit seinen großen, runden Augen, in denen das Weiße ganz zu fehlen schien, seinem wie gerupft aussehenden Haar und seinem krummen Rücken, hätte einem wahrlich leidtun können, denn schwer lastete offenbar die Bürde des Verwalters auf seinen knochigen Schultern. Er war nicht wirklich dumm, durchaus nicht. In seinen stillen Stunden reimte er sich sogar Gedichte der niederen Minne zusammen, in denen es zünftig zuging, die er aber niemals jemandem vorzutragen wagte. Nein, dumm war er nicht, vielmehr konnte man ihn eher leichtgläubig nennen, und das wusste der schlaue Johann einmal wieder auszunutzen. Wie gerufen kam ihm da eine Krähe, die sich unmittelbar neben den Meier auf einen Baumstumpf setzte und laut sowie anhaltend zu krächzen begann.
    » Was habt ihr da für einen Vogel, liebe Leut’? « , fragte der Meier, sich erstaunt nach dem schwarzen Tier umblickend, das nicht aufhören wollte, seinen unschönen Gesang von sich zu geben.
    » Unser Zeitvogel ist das, mein guter Herr Meier. Kennst du den etwa nicht? « ,
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