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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre
Autoren: Koonchung Chan
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Japan. Unter den Japanern, die nach China übersiedelten, waren viele Senioren, die sich dort mit ihrer Rente eine preiswerte und gute Betreuung leisten konnten. Anders ausgedrückt: China verhalf der seit Langem schrumpfenden Bevölkerung Japans zu neuem, qualitativen Wachstum. Diese Politik war von großer symbolischer Bedeutung, denn sie beinhaltete, dass Chinesen und Japaner ihre alte Feindschaft begruben und sich gegenseitig annahmen. So wie Deutschland und Frankreich, in ihrer Geschichte oft erbitterte Gegner, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in friedlicher Koexistenz leben und Europa in eine neue Epoche geführt haben.
    Ebenso wichtig wie der Migrationsplan war der gegenseitige Sicherheits- und Nichtangriffspakt. Wenn eine Seite angegriffen würde, würde die andere ihr zu Hilfe eilen – genau wie im Sicherheitspakt Japans und der USA, dem Verteidigungsbündnis der Nato-Staaten oder der Zusammenschluss der europäischen Großmächte im neunzehnten Jahrhundert. China ging jedoch behutsam vor: So forderte es von Japan keine Aufkündigung des Sicherheitspaktes mit den USA, um die Japaner nicht zu verunsichern. Somit stand Nippon jetzt gleichzeitig unter chinesischem und amerikanischem Schutz, war also doppelt abgesichert. Im Gegenzug behielt Japan seine pazifistische Verfassung bei, blieb frei von Atomwaffen und veranstaltete kein Wettrüsten.
    Durch den chinesisch-japanischen Sicherheitspakt wurde auch Nordkorea in die Zange genommen. Einerseits ließ man die Nordkoreaner so wissen, dass Japan nicht weiter mit atomarem Säbelrasseln zu beeindrucken war, da ihm China im Angriffsfall zu Hilfe eilen würde; andererseits konnte sich Japan auch nicht mehr des Arguments der nordkoreanischen Bedrohung bedienen, um aufzurüsten. Die sonst so sturen Südkoreaner fühlten sich langsam ziemlich isoliert und überlegten bereits, ein ähnliches Abkommen zu unterzeichnen, ein weiterer Schritt zur Bändigung des nordkoreanischen Militarismus.
    Im vergangenen Jahrhundert waren die Japaner in China eingefallen und die Chinesen hassten sie dafür bis zum heutigen Tag. Doch die Japaner hegten eigentlich keinen Hass gegen die Chinesen. Früher hatten sie auf die Chinesen herabgeblickt, jetzt fürchteten sie sich vor ihnen. Sie waren ja damals die Aggressoren gewesen, es gab keinen tief greifenden Hass auf China. Wenn man darüber nachdenkt, ist es durchaus nachvollziehbar. Die Japaner sahen sich jedoch besiegt durch die Amerikaner – keine andere Nation hatte jemals japanischen Boden besetzt, und noch immer waren fünfzigtausend US-Soldaten in Japan stationiert. Daher wollte man insgeheim eher sehen, dass die Amerikaner Federn ließen. Es ist eine vielschichtige Psychologie im Spiel, wenn es um das Verhältnis von starken zu schwachen Nationen, Invasoren zu Invasierten, Siegern zu Unterlegenen geht. Es bedarf nicht unbedingt eines Krieges, um eine solche Schmach zu sühnen, es reicht auch eine Umkehr des Kräfteverhältnisses, zumindest aber ein Gleichziehen des Schwächeren mit dem ehemals Überlegenen. Aus diesem Grund fand die ostasiatische Monroe-Doktrin und das sino-japanische Sicherheitsbündnis innerhalb Japans viele Unterstützer, denn es versetzte den USA einen schweren Schlag. Zudem ließ sich dem Subtext des engen chinesisch-japanischen Übereinkommens das Eingeständnis entnehmen, dass Japan auf chinesische Hilfe angewiesen war. Damit sahen auch viele Chinesen ihr Gesicht ausreichend gewahrt.
    Was niemand für möglich gehalten hatte, war geschehen: China und Japan hatten sich verbündet und innerhalb weniger Jahre war ein gemeinsamer ostasiatischer Markt entstanden. Mit der ostasiatischen Monroe-Doktrin unter Federführung Chinas hatte eine neue Epoche begonnen. Sun Yat-sens Traum war hundert Jahre später endlich Wirklichkeit geworden.
    Selbstzufrieden rief He Dongsheng aus: »Das war genial, einfach genial!«

Optimum
    Xiaoxi protestierte: »Traum? Pah! Sun Yat-sen würde sich im Grabe umdrehen! Souveränität des Volkes, Herrschaft des Volkes und Wohlergehen des Volkes – sein ›Dreifaches Volksprinzip‹! Wo bitte schön ist die Volksherrschaft? Jetzt sind diese Prinzipien bald hundert Jahre alt und ihr trampelt noch immer auf den Rechten des Volkes herum, wie es euch beliebt! Menschen werden verfolgt, verhaftet und eingesperrt, so wie es euch gerade passt!«
    »Sie sagen, die gesellschaftliche Ordnung sei durcheinander«, rief Fang Caodi, »es gebe gewaltige Widersprüche, kriminelle Mächte seien auf
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