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Die Farm

Die Farm

Titel: Die Farm
Autoren: John Grisham
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Augen auf. Seine Unterlippe zitterte. Es wollte losschreien, als ich es ihr in den Arm drückte und sagte: »Da, nimm ihn.«

    Ich kletterte aus dem Pick-up, bevor sie einsteigen konnte.
    Meine Schnelligkeit überraschte sie. »Wo willst du hin, Luke?«, fragte mein Vater.
    »Fahrt noch ein bisschen herum. Ich muss Farbe kaufen.«
    »Steig sofort wieder ein!«, sagte er.
    Das Baby stieß einen Schrei aus, und meine Mutter stieg rasch ein. Ich lief hinten um den Pick-up herum und rannte so schnell wie möglich zur Straße.
    In meinem Rücken hörte ich einen weiteren, wesentlich leiseren Schrei, dann fuhr der Wagen los.
    Ich rannte zur Eisenwarenhandlung, blieb vor der Ladentheke stehen und bat den Verkäufer um drei Eimer weißer Farbe.
    »Hab nur noch zwei«, sagte er.
    Ich war zu überrascht, um zu reagieren. Wie konnte einer Eisenwarenhandlung die Farbe ausgehen? »Nächsten Montag kommt die nächste Lieferung«, sagte er.
    »Dann nehm ich zwei«, sagte ich.
    Die zwei Eimer würden für die Vorderseite des Hauses keinesfalls genügen. Ich reichte ihm sechs Ein-Dollar-Scheine, und er gab mir das Wechselgeld. »Ich trag sie dir raus«, sagte er.
    »Nein, das schaff ich schon«, sagte ich und griff nach den beiden Eimern. Ich hob sie unter Mühen an und watschelte dann den Gang entlang, stolperte dabei fast über meine eigenen Beine. Ich hievte sie aus dem Laden auf den Gehsteig, sah mich in beiden Richtungen um und horchte auf das Plärren eines kranken Babys. Dankenswerterweise war es ruhig in der Stadt.
    Pearl trat wieder auf den Gehsteig, ihre Blicke schössen in alle Richtungen. Ich versteckte mich hinter einem geparkten Auto.
    Dann sah ich unseren Pick-up verdächtig langsam aus Süden kommen. Mein Vater bemerkte mich und hielt mitten auf der Straße an. Mit meiner ganzen Kraft hob ich die beiden Eimer an und lief zu unserem Wagen. Er sprang heraus, um mir zu helfen. Ich kletterte auf die Ladefläche, und er reichte mir die Farbeimer. Ich wollte hinten bleiben, ein Stück entfernt vom jüngsten Latcher. Kaum saß mein Vater hinter dem Lenkrad, stieß das Baby wieder einen Schrei aus.
    Der Pick-up fuhr an, und das Baby verstummte. Ich brüllte:
    »Hallo, Pearl!«, als wir an ihr vorbeirasten.
    Libby saß mit Gran auf der Treppe vor dem Haus und wartete auf uns. Als der Pick-up stehen blieb, begann das Baby zu plärren. Die Frauen brachten es eilig in die Küche, wo sie es mit Eis voll stopften.
    »In ganz Craighead County gibt es nicht genug Benzin, um den Kerl ruhig zu stellen«, sagte mein Vater.
    Das Eis beruhigte ihn glücklicherweise. Der kleine Latcher schlief in den Armen seiner Mutter ein.
    Weil Vanilleeis geholfen hatte, als ich unter Koliken litt, galt diese wundersame Heilung als weiterer Beweis dafür, dass das Baby ein halber Chandler war. Ich empfand das nicht gerade als tröstlich.

    W ir hatten gewiss nicht damit gerechnet, die Scheune voller Latchers zu haben. Und während wir uns zuerst mit unserer christlichen Nächstenliebe und unserem gut nachbarschaftlichen Verhalten trösteten, begannen wir uns bald dafür zu interessieren, wie lange sie bleiben würden. Ich sprach das Thema beim Abendessen an, nachdem wir ausführlich über die Ereignisse des Tages geredet hatten. »Wie lange werden die Latchers wohl bleiben?«, sagte ich.
    Pappy war der Ansicht, dass sie wieder gehen würden, sobald sich das Wasser zurückgezogen hätte. In der Scheune eines anderen Farmers zu wohnen war unter den schlimmsten Umständen erträglich, aber niemand, der über einen Funken Selbstachtung verfügte, würde einen Tag länger als unbedingt nötig bleiben.
    »Was sollen sie essen, wenn sie zurückkehren?«, fragte Gran.
    »In dem Haus gibt es nichts mehr zu essen.« Ihrer Meinung nach würden sie bis zum Frühjahr bei uns bleiben.
    Mein Vater spekulierte, dass ihr baufälliges Haus dem Wasser nicht standhalten würde und es bald kein Haus mehr gäbe, in das sie zurückkehren könnten. Außerdem hatten sie keinen Pick-up, kein Transportmittel. Sie waren auf ihrem Land während der letzten zehn Jahre nahezu verhungert. Wohin also sollten sie gehen? Pappy schien diese Ansicht ein bisschen zu deprimieren.
    Meine Mutter hörte überwiegend zu und schaltete sich nur einmal mit der Bemerkung ein, dass die Latchers nicht die Sorte Leute sei, denen es peinlich ist, in einer fremden Scheune zu leben. Und sie sorgte sich um die Kinder, nicht nur wegen der offensichtlichen Probleme hinsichtlich ihrer Gesundheit und
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