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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit
Autoren: Connie Willis
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Freund?« sagte ich. »Kein Wunder, daß sie dich den besten Freund des Menschen nennen. Treu, loyal und ehrlich teilst du unsere Freuden und feierst mit uns unsere Triumphe. Der ehrlichste Freund, den wir kennen, einen besseren, als wir verdienen. Ihr habt euer Schicksal mit dem unseren verwoben, durch dick und dünn, auf dem Schlachtfeld und auf dem Kaminvorleger, und weigert euch, euren Herrn zu verlassen, selbst wenn euch Tod und Zerstörung umgibt. Oh, nobler Hund, du pelziger Spiegel, in dem wir unser besseres Selbst abgebildet sehen, der Mensch, wie er sein könnte, unbefleckt von Krieg oder Ambitionen, unverdorben durch…«
    Und mit einem harten Ruck wurde ich nach Oxford zurückgerissen und in die Krankenstation transportiert, noch ehe ich Mr. Spivens Kopf zu Ende tätscheln konnte.

»Wenn sich jeder um seinen eigenen Kram kümmerte«, grollte die Herzogin dumpf, »würde sich die Welt ein gutes Stück schneller drehen.«
    »Alice im Wunderland«
Lewis Carroll
     
2. Kapitel
     
     
    Die Spanische Inquisition • Oxford, Stadt der träumenden Türme • Flucht • Irrungen • Verwirrungen • Des Rätsels Lösung • Der Sportplatz von Merton • Der Lauscher an der Wand • Der Unterschied zwischen Literatur und wirklichem Leben • Eine Art Nymphe • Ein wichtiger Hinweis • Ein bißchen Gebäck • Ein guter Einfall
     
     
    »Ihr Partner sagte, Sie litten an fortgeschrittener Zeitkrankheit, Mr. Henry«, sagte die Schwester und zurrte eine Manschette um mein Handgelenk.
    »Hören Sie«, sagte ich, »ich weiß ja, daß ich mich da eben mit dieser Hundesache etwas reingesteigert habe, aber trotzdem muß ich sofort nach Coventry zurück.«
    Es war schlimm genug, daß ich fünfzehn Stunden später durchgekommen war als erwartet. Nun hatte ich die Kathedrale auch noch mitten während der Suche verlassen, was beinahe so schlimm war wie überhaupt nicht zu suchen, und selbst wenn ich imstande sein sollte, so nahe wie möglich bei der Zeit, zu der ich verschwunden war, wieder in die Kathedrale zurückzukehren, würden doch fehlende Augenblicke entstehen, Augenblicke, in denen der Kirchendiener, von der Katze geleitet, des Bischofs Vogeltränke gefunden und sie aus Sicherheitsgründen seinem Schwager zur Verwahrung gegeben haben könnte, von wo aus sie dann für immer und ewig aus der Weltgeschichte entschwunden wäre.
    »Es ist äußerst dringend, daß ich zu der Ruine zurückkehre«, sagte ich. »Des Bischofs Vogeltränke…«
    »Übermäßige Beschäftigung mit Irrelevantem«, diktierte die Schwester in ihren kleinen Handcomputer. »Äußeres schmutzig und verwahrlost.«
    »Ich habe in einer ausgebrannten Kathedrale gearbeitet«, protestierte ich. »Und ich muß sofort dahin zurück. Des…«
    Sie schob mir ein Thermometer in den Mund und befestigte einen Minimonitor an meinem Handgelenk.
    »Wie viele Sprünge haben Sie innerhalb der letzten zwei Wochen gemacht?«
    Ich beobachtete, wie sie meine Temperatur in ihr Gerät eingab, und versuchte mich zu entsinnen, was als offizielles Limit für Sprünge galt. Acht? Fünf?
    »Vier«, sagte ich. »Sie sollten besser Carruthers untersuchen. Er ist noch schmutziger als ich, und Sie hätten ihn mal hören sollen, als er über die Sterne und den hohen Herold der Hoffnung salbaderte.«
    »Unter welchen Symptomen leiden Sie? Desorientiertheit?«
    »Nein.«
    »Schläfrigkeit?«
    Das war schon schwieriger zu beantworten. Wer unter Lady Schrapnells Knute stand, litt automatisch an Schlafentzug, aber ich bezweifelte, daß die Schwester das in Betracht ziehen würde, und eigentlich war es auch keine Schläfrigkeit, sondern mehr eine Art zombiehafter Betäubung, wie sie oft Menschen befiel, die während des Blitzkrieges Nacht für Nacht unter Bombenangriffen zu leiden hatten.
    »Nein«, entgegnete ich schließlich.
    »Zögerlich beim Antworten«, sagte sie in ihren Handcomputer. »Wann haben Sie das letzte Mal geschlafen?«
    »1940«, erwiderte ich prompt, woran man erkannte, daß auch zügiges Antworten Probleme aufwerfen kann.
    Sie tippte eifrig. »Hatten Sie Schwierigkeiten, Töne voneinander zu unterscheiden?«
    »Nein«, sagte ich und lächelte sie an. Krankenschwestern ähneln immer irgendwie Gestalten aus der Spanischen Inquisition, aber diese hier hatte ein beinahe freundliches Gesicht, ein Gesicht, wie es auch ein Hilfsfolterknecht, der einem auf der Streckbank festschnallt oder die Tür der Eisernen Jungfrau offenhält, haben könnte.
    »Verschwommene Sicht?«
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