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Die Falsche Tote

Titel: Die Falsche Tote
Autoren: Daniel Scholten
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Schutzkleidung anlegen. Die Treppe wand sich so eng hinauf, dass sich die Entgegenkommenden wie auf einer einspurigen Passstraße arrangieren mussten. Hier sah man bereits die Techniker in ihren weißen Overalls am Treppengeländer arbeiten. Das hatte Barbro nach der eigenartigen Aussage des Nachbarn gleich veranlasst. Das Treppenhaus roch nach feuchter Kellerluft. Sonst war es ganz schlicht und frei von Messing, wie man ihn sonst in so vielen Treppenhäusern fand.
    Kjell war gespannt, was Sofi oben erreicht hatte. Barbro und Henning waren als Gründungsmitglieder der Gruppe von Anfang an dabei gewesen. Beide hatten davor jahrelang bei der Kriminalpolizei gearbeitet, Henning in der Mariawache in Söder und Barbro beim Betrug. Sofi hingegen war erst seit Kurzem Mitglied der Gruppe. Und sie war jung dazu. Zuvor hatte sie einige Monate bei der Schutzpolizei in Norrmalm verbracht, doch das war kaum der Rede wert. Die anderen Bewerber hatten zwar viel mehr Erfahrung besessen, aber das konnte der Arbeit mehr schaden als Unerfahrenheit, wenn man sich auf all die voreiligen Schlüsse verließ, auf die man jahrelang hereingefallen war. Dass viele bei der Polizei so dachten und arbeiteten, lag an der Art, wie man als Polizist seine Tage verbrachte. Wie bei vielen anderen Berufen auch bestand das Spektrum eines normalen Polizisten aus nur wenigen Erlebnissen, Erfahrungen und Methoden, die sich immer wiederholten.
    Dies war Kjells Folgerung nach zwanzig Jahren und achtzehn Treppenstufen. Im dritten Stock schwebte ein leichter Chlorgeruch, den das Indikatormittel verbreitete, mit dem die Techniker das Geländer bearbeiteten. Die Hektik des Treppenhauses hörte im vierten Stock mit einem Schlag auf. Hier durfte inzwischen niemand mehr herauf außer den Technikern, und dabei sprachen sie nie mehr als das Nötigste.
    »Darf ich rein?«
    Eine Frau mit Plastikhaube über dem blonden Haar nickte und deutete mit dem Finger den Weg vor, auf dem er sich durch den Flur und das Zimmer zu halten hatte. Die Wohnung begann mit einem engen Flur, der durch die Kleiderstange in der Nische noch enger wirkte. Zwischen die Wände waren so viele Jacken gequetscht, dass es ein Wagnis war, einen Bügel herauszunehmen. Dazuhängen konnte man beim besten Willen nichts mehr. Die Techniker hatten mit Plastikplanen abgedeckt, was noch vor ihnen lag. Rechts ging ein Badezimmer mit himmelblauen Fliesen ab. Kjell bewegte sich behutsam durch das Zimmer. Die Wände waren hüfthoch vertäfelt, der weiße Lack auf dem Holz begann langsam zu vergilben. Kjell sah sich die Wohnung immer so schnell wie möglich an, denn sobald die Techniker mit allem fertig waren, ließen sie eine ewige Stille am Tatort zurück, die sich auch auf seine Gedanken legte und verhinderte, dass er sich wie ein unsichtbarer Beobachter der vorangegangenen Ereignisse fühlen konnte.
    Beim Durchstreifen des Tatorts wollte er nicht gestört werden. Die zur Straße liegende Wand teilte sich in zwei Hälften. Links standen Spüle und Herd, rechts war die Wand vor dem Fenster leer, so dass man sich hinauslehnen konnte. Drei Techniker beschäftigten sich mit dem Geländer. Måns klebte die Kontaktfolie auf das Geländer, zog sie wieder ab und übergab sie seinem Gehilfen, der den Streifen beschriftete und in sein Album einklebte. Der andere Kollege kniete nur da und zog immer neue Streifen von der Rolle. So würde das stundenlang gehen. Die Konzentration auf das Fenster ließ keinen Zweifel daran, dass Josefin Rosenfeldt von dort hinabgestürzt war. Das Fenster musste nachträglich bis zum Boden verlängert worden sein, aber nach dem Zustand des weißen Haltegitters zu urteilen, lag das schon einige Jahre zurück. Als einziges Möbelstück stand ein Tisch in der Mitte des Raumes.
    Auf einmal erklang Sofis Stimme im Nebenzimmer. Kjell schritt zum Türrahmen und sah sie zusammen mit Lasse vor einem Bett auf dem Boden sitzen.
    »Sofi«, überraschte er sie von hinten. »Was machst du da?«
    Sie fuhr herum.
    »Kjell! Wir haben was!«
    »Wo ist Per?«
    »Urlaub!«, sagte Lasse, Pers dreißigjähriger Assistent, der für immer die Nummer zwei bleiben würde. Sein zwei Meter langer Körper war so schlaksig, dass er rückgratlos wirkte. Das schlug sich auf sein Selbstvertrauen nieder. »Er ist mit einer Bekanntschaft auf dem Götakanal unterwegs. Hat sich ein Boot gemietet.«
    Deswegen wirkten hier auch alle so orientierungslos, dachte Kjell. Pers Gemotze am Tatort war sonst immer der rote Faden der
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