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Die falsche Geliebte (German Edition)

Die falsche Geliebte (German Edition)

Titel: Die falsche Geliebte (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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schiefen Blick auffallen, der aus Vergils Vers berühmt ist. Wie kann er bei so vielen körperlichen Nachteilen Manieren und einen vornehmen Ton besitzen? Die Lösung dieses Problems ergibt sich aus seinem dandyhaften Anzug und aus der Erziehung durch seine Mutter, eine Radziwill. Sein Mut geht bis zur Tollkühnheit, aber sein Geist übersteigt nicht die landläufigen Eintagswitze der Pariser Unterhaltung, und doch trifft er unter den jungen Modeherren nicht oft einen, der ihm überlegen ist. Die Gesellschaftsmenschen reden heute vielzuviel von Pferden, Einkünften, Steuern und Abgeordneten, als daß die französische Unterhaltung das bliebe, was sie war. Der Geist will Muße und gewisse gesellschaftliche Unterschiede. In Petersburg und Wien plaudert man wahrscheinlich besser als in Paris. Gleichstehende bedürfen keiner Feinheiten mehr; sie sagen ganz dumm alles, wie es ist. Die Pariser Spottvögel fanden also schwerlich etwas von einem großen Herrn in dieser Art von verbummeltem Studenten, der in der Unterhaltung sorglos von einem Gegenstand zum andern übersprang, der Vergnügungen leidenschaftlich nachlief, besonders weil er soeben großen Gefahren entronnen war, und der glaubte, fern dem Lande, das seine Familie kannte, ein regelloses Leben führen zu können, ohne sich der Mißachtung auszusetzen.
    Eines Tages im Jahre 1834 kaufte Adam in der Rue de la Pépinière ein Privathaus. Ein halbes Jahr darnach kam seine Lebensführung der der reichsten Pariser Häuser gleich. Im Augenblick, als Laginski sich selbst ernst zu nehmen begann, sah er Clementine im Théâtre des Italiens und verliebte sich in sie. Ein Jahr darauf fand die Hochzeit statt. Der Salon der Frau von Espard gab das Zeichen zu Lobreden. Nun erfuhren die Mütter heiratsfähiger Töchter zu spät, daß die Laginskis seit 900 zu den vornehmen Familien des Nordens zählen. Im Augenblick des polnischen Aufstandes hatte die Mutter des jungen Grafen in ganz unpolnischer Klugheit gewaltige Summen auf ihre Güter aufgenommen. Zwei jüdische Häuser hatten das Geld dargeliehen, und es war in französischen Werten angelegt worden. Graf Adam Laginski hatte also ein Einkommen von 80 000 Franken. Man wunderte sich nicht mehr über die Unbesonnenheit, mit der – nach der Ansicht vieler Salons – Frau von Sérizy, der alte Diplomat Ronquerolles und der Chevalier du Rouvre der tollen Leidenschaft ihrer Nichte nachgegeben hatten. Wie stets, sprang man von einem Gegensatz zum andern. Im Winter 1836 war Graf Adam in Mode, und Clementine Laginska war eine der Königinnen von Paris. Die Gräfin Laginska gehört heute zu jener reizenden Gruppe junger Frauen, in der die Damen de l'Estorade, de Portenduère, Marie de Vandenesse, du Guénic und de Maufrigneuse als Blüten des heutigen Paris glänzen. Sie leben in großem Abstand von den Emporkömmlingen, den Bürgerlichen und den Machern der neuen Politik. Dies mußte vorausgeschickt werden, um die Sphäre zu bestimmen, in der eine jener erhabenen Handlungen sich abspielte, die weniger selten sind, als die Verächter der Gegenwart glauben, Handlungen, die gleich schönen Perlen die Frucht eines Leides oder eines Schmerzes sind und auch darin den Perlen gleichen, daß sie sich in rauhen Schalen verbergen und im Schoß jenes Abgrunds, jenes Meeres, jener ewig bewegten Flut ruhen, die man die Welt, das Jahrhundert, Paris, London, Petersburg oder sonst wie nennt.
    Wenn je die Wahrheit des Satzes bewiesen wurde, daß die Baukunst der Ausdruck der Sitten ist, so war es wohl seit dem Umsturz von 1830, unter der Herrschaft der Orléans der Fall! Alle Vermögen schmelzen in Frankreich zusammen; die majestätischen Privathäuser unserer Voreltern werden unaufhörlich abgerissen und durch eine Art von Siedlungen ersetzt, in denen der Pair des Frankreichs der Julimonarchie im dritten Stock über einem reichgewordenen Quacksalber wohnt. Alle Stile fließen durcheinander. Da kein Hof, kein tonangebender Adel mehr vorhanden ist, sieht man in den Schöpfungen der Kunst keine Einheitlichkeit mehr. Gerade die Baukunst hat nie zahlreichere Ersatzmittel zum Nachäffen des Echten und Gediegenen entdeckt, nie mehr Hilfsmittel und Spürsinn zur Ausnutzung des Raumes aufgebracht. Man gebe einem Künstler den Gartensaum eines alten abgerissenen Familienhauses, und er führt ein kleines Louvre auf, das er mit Ornamenten überlädt. Er findet Raum für Hof, Stallungen und wenn man will, für einen Garten. Im Innern legt er so viel kleine Zimmer
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