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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex
Autoren: Jo Clayton
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von Kopf bis Fuß mit Asche und Staub eingehüllt. Das Flußufer war noch immer viel zu steil; sie konnten Wasser schöpfen, doch auf die andere Seite überzuwechseln, war noch immer unmöglich. Stellenweise war der Pflanzen wuchs hier dicht genug, um sie zu der schwelenden Aschefläche hin abzudrängen. Linfyar jammerte und klammerte sich an Shadith fest, und wenn sie dagegen rebellierte, kam er zu Aleytys und klammerte sich an sie. Die zahllosen Kratzer brannten und juckten, jeder einzelne Knochen im Leib tat ihr weh
    - und eine Müdigkeit erfüllte sie, die sie nicht gewohnt war, und die sie nicht abschütteln konnte; und der Wald brannte weiter, Tod und Vernichtung, allesamt ihre Schuld, Resultat ihres Mangels an Beherrschung. Seltsamerweise fiel es ihr wesentlich leichter, mit all den menschlichen Toten ihrer Vergangenheit fertig zu werden, als jetzt an die Tiere da draußen zu denken; sterbend, verletzt oder in blinder Flucht. Madar sei Preis und Dank war es Herbst; so mußten keine hilflosen Neugeborenen dem Feuer überlassen werden.
    Trotzdem… Griesgrämig stapfte sie voran, den Blick auf den Boden gerichtet; sie fühlte sich geistig so elend wie körperlich.
    Shadith ergriff ihren Arm. „Lee. Sieh nur.”
    „Welche Richtung?” Sie legte den Kopf zurück, starrte zu der Rauchwolke empor, die noch immer den Himmel verdunkelte, rieb sich gedankenabwesend die Oberarme und schaffte es schließlich, sich auf das zu konzentrieren, was ihr Shadith zeigte. Zusammen mit ihr und Linfyar stand sie auf einer grasbewachsenen freien Fläche, und ringsumher schwebten Ascheflocken sanft zu Boden. Und in dem weiß-grau-schwarzen Brodeln über ihnen schwebte eine irisierende Blase, zwanzig Meter im Durchmesser, so substanzlos wie ein Traum und doch einem jener Träume verdächtig ähnlich, die sie dann und wann plagten. Sie wischte über den Schweiß und die Asche auf ihrem Gesicht (was wenig nützte, sondern das Ganze nur noch mehr verschmierte), wischte die Hand an Hüfte und Oberschenkel ab (was auf dem abgenutzten Wildleder einen häßlichen schwarzen Schmierstreifen hinterließ) und ärgerte sich dar
    über, daß sie Fremden so gegenüberzutreten gezwungen war. Sie starrte auf ihre schmutzige Hand hinab, warf Shadith einen schrägen Blick zu. ,.Sieht so aus, als hätte ich uns ein Leuchtfeuer angezündet.”
    Shadith nickte und spähte dann mißtrauisch zu der Energieblase hinauf, die weiterhin am Himmel schwebte. Nichts deutete darauf hin, daß sie gesehen worden waren. „Mir gefallen ihre Manieren nicht sonderlich. Wer immer da oben an Bord ist - besonders freundlich ist er nicht.” Sie tätschelte Linfyar gedankenabwesend; der Junge hatte sich dicht an sie gekuschelt, und seine Ohren zuckten, seine Lippen flatterten - er erforschte die Wolken auf seine Art und Weise, wollte selbst herausfinden, worüber sie sprachen.
    Aleytys seufzte. „Ich habe das Ganze satt!” Sie ließ sich ins Gras nieder, setzte sich mit gekreuzten Beinen zurecht, rundete die Schultern. Stumm rief sie Harskari und sah die goldenen Augen schließlich langsam, müde aufgehen. „Halte dich bereit, uns abzuschirmen, falls sie angreifen.” Laut sagte sie: „Sorge dafür, daß Linfyar still bleibt, und setz dich.”
    Minuten vergingen. Sie saßen reglos, stumm, alle drei müde und voller Erwartung, jedoch am allermeisten wie betäubt. Aleytys sträubte sich dagegen, die Blase anzusehen. Sie konnte das Ende ihres langen Trecks bedeuten, und sie konnte überhaupt nichts bedeuten. Sie konnte sich ihnen öffnen oder einfach wieder verschwinden, sobald sie sie lange genug beobachtet hatte. So oder so, es gab nichts, was sie tun konnte; nichts, außer hier zu sitzen und zu warten und zu beobachten, wie sich der Rauch über dem geschwärzten Wald kräuselte.
    Die Kugel schwebte tiefer, gewichtslos und unsicher wie eine Seifenblase - und dennoch zielstrebig. Sie glitt heran, ohne die Brombeergestrüppe zu berühren, die sie zu Boden preßte, deren Rascheln sie dämpfte, deren leichtes Zittern sie ersterben ließ. Ein Rechteck öffnete sich in ihrer Seite, eine helle, substanzlose Rampe schob sich aus der Unterseite dieses Rechtecks hervor und drückte das Gras unmittelbar dort, wo Aleytys saß, flach.
    Ein Mann erschien in diesem Durchgang, groß, hager, mit der Schönheit und Zerbrechlichkeit von Kristallglas. Helle, blutleere Haut, glatt und fast durchscheinend. Blasse, gewölbte Augen, das Grün-Grau-Blau, das tief in purem Eis verborgen liegt.
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