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Die ewige Straße

Die ewige Straße

Titel: Die ewige Straße
Autoren: Jack McDevitt
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Mississippi säumten, konnte man den Verlauf der großen Straße erkennen, die sich von Osten nach Westen zog. Zwei breite Streifen, wie Zwillinge, die sich hoben und senkten, manchmal zugleich und manchmal nicht. Sie kamen pfeilgerade aus der Richtung der aufgehenden Sonne, teilten sich dort, wo Illyrien lag, umrundeten die Stadt und vereinigten sich bei Hollys Brücke wieder, um anschließend den Fluß zu überqueren.
    Filio Kon hatte eine faszinierende Theorie entwickelt: Diese gewaltigen Konstruktionen waren mehr als simple Straßen. Sie waren zugleich religiöse Artefakte. Verschiedene Studien hatten geometrische Prinzipien zu Tage gefördert, die eine Verbindung zwischen den Straßen und den kosmischen Harmonien nahelegte. Silas verstand überhaupt nichts davon und übte sich in den Prinzipien des Skeptizismus, zu denen Kon höchstpersönlich ihn erzogen hatte.
    Während die Ruinen für Rinny und Colin einfach Teil der Landschaft waren, nicht außergewöhnlicher als Johannisbrotbäume oder Roteichen, so bedeuteten sie für Silas die Wegweiser zu einer anderen Welt.
    Es schmerzte ihn fast körperlich, mitten unter den allgegenwärtigen Zeugnissen einer so großartigen Zivilisation zu leben und dennoch nur so wenig über sie zu wissen.
    Silas Glote hatte sein Lebenswerk darin gefunden, die Kultur der Straßenbauer zu erforschen. Wenn sich damit auch keine Reichtümer verdienen ließen, so vermittelte ihm sein Beruf doch grenzenlose Befriedigung. Nichts war mit dem Gefühl vergleichbar, neue Studenten in die Geheimnisse der Ruinen einzuführen, deren Besonderheiten sie zwar alle gesehen, aber nur selten bewußt wahrgenommen hatten. Beispielsweise die Schächte, die ohne jeden offensichtlichen Sinn in den meisten der höheren Bauwerke zu finden waren, oder die allgegenwärtigen Metallkisten mit den Pseudoglasscheiben. Oder die massive graue Schüssel, die in den Himmel gerichtet in der Nähe eines Schildes montiert war, auf dem Memphis Licht, Gas & Wasser zu lesen stand. Oder die merkwürdige Musik, die gelegentlich des Nachts aus einem Hügel im Westen der vorzeitlichen Stadt drang.
    Die Schuldgefühle, die Silas plagten, entsprangen vielleicht nicht nur der Tatsache, daß er dem Freund seine Unterstützung versagt hatte, sondern auch seinen gemischten Gefühlen bezüglich dem, was bei der Mission herausgekommen war. Ein dunkler Teil seiner Seele hatte Befriedigung über Kariks Fehlschlag empfunden. Silas gestand sich diese Tatsache nur ungern ein, doch das änderte nichts an ihrer Wahrheit.
    Karik hatte ihm keinen Beweis vorgelegt, daß er Haven finden konnte oder Haven überhaupt existierte. Statt dessen hatte er verlangt, daß Silas seinem Urteilsvermögen vertraute. Ich weiß, wo es liegt, hatte er gesagt. Ich besitze eine Karte. Du wirst dabei sein wollen, wenn wir es endlich gefunden haben.
    Man erzählte sich, daß Polks Festung noch immer von Gelehrten gehütet würde, den Nachfahren der ursprünglichen Besatzung, von Männern und Frauen, die sich um die Hinterlassenschaften kümmerten und reparierten, was zu reparieren war, und die gewissenhaft die Schriften kopierten, bevor das Papier zerfallen konnte.
    Haven.
    Auch wenn es Haven nicht gab, so sollte ein Ort wie Haven existieren. Und genau in dieser Überlegung lagen die Wurzeln aller Zweifel. Wenn Abraham Polk nicht existiert hätte, würde ihn ganz sicher irgend jemand erfunden haben.
     
    Die Nachricht von Karik Endines Tod weckten in Chaka Milana Erinnerungen an ihren vierzehnten Geburtstag. Ihr Bruder Arin hatte sie zu ihrem Lieblingsplatz begleitet, einer stillen Lichtung vor einem Gebäude der Straßenbauer, und hatte sie dort porträtiert.
    Sie hatte sich ein Portrait von ihm gewünscht, solange sie sich zurückerinnern konnte. Aber sie war zu schüchtern gewesen, ihn darum zu bitten. Sie hatte Angst gehabt, er könnte sie auslachen. Doch an jenem kühlen Tag im Spätwinter hatte er sie porträtiert auf einem Granitblock, vor einer zerbrochenen Mauer und einem Bogen mit einer Inschrift in der Spandrille: Industrie- und Ha n delskammer Memphis 2009.
    Der Fleck war etwas Besonderes, weil Memphis abgebrannt war, in Schutt und Asche gelegt. Doch dieses kleine Gebäude hier mit dem Bogen und den kannelierten Säulen war erhalten geblieben. Und es war wunderschön.
     
    »Chaka, bitte. Du mußt stillhalten.« Arin spähte zu ihr hinüber, während er das Licht abschätzte, nickte und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Leinwand.
    »Bist du
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