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Die ewige Straße

Die ewige Straße

Titel: Die ewige Straße
Autoren: Jack McDevitt
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feuchter Wind wehte über den Fluß herüber. Rinny rieb die Hände gegeneinander und zog die Lederriemen am Revers seiner Jacke enger. Auf der anderen Seite trieb ein Flachboot gemächlich flußabwärts. Die Besatzung zog Planen auf, um Schiff und Ladung vor dem herannahenden Sturm zu schützen. »Vielleicht sollten wir besser zusehen, daß wir von hier verschwinden.«
    »Gleich.« Colin starrte angestrengt auf das Wasser, als könne er die Fische zum Beißen zwingen.
    Die Wolken hatten das gegenüberliegende Ufer erreicht. Eine Regenlinie erschien. Rinny seufzte, legte den geschnitzten Ast ab, der ihm als Angelrute diente, und machte sich daran, seine Ausrüstung zusammenzusuchen.
    »Ich hab’ einen«, sagte Colin. Er grinste. »Das ist schon besser.«
    »Stimmt. Einer für jeden von uns ist besser als ein halber.«
    Colin versuchte, seinen Fang zu landen, doch der widerstand. »Die Schnur scheint sich verhakt zu haben.« Er zog heftiger, und die Rute bog sich bis zum Brechen. Ein dunkler Umriß tauchte im Wasser auf. »Was ist denn das?«
    »Jedenfalls kein Fisch«, sagte Rinny enttäuscht.
    Ein Stiefel durchbrach die Wasseroberfläche.
    Ein Stiefel mit einem Fuß darin.
    Colin ließ die Rute fallen, und der Fuß versank wieder im Wasser.
     
    »Ich verstehe das einfach nicht.« Flojian Endine trat vom Bett zurück, und Silas konnte den Leichnam sehen.
    Seit der gescheiterten Expedition schien Karik Jahr um Jahr geschrumpft zu sein. Jetzt, im Tod, fiel es schwer, sich zu erinnern, wie er in den alten Tagen gewesen war. »Es tut mir leid«, sagte Silas und dachte, daß seine Trauer wohl größer war als Flojians.
    »Danke.« Flojian schüttelte langsam den Kopf. »Das Zusammenleben mit Vater war nicht immer einfach. Trotzdem werde ich ihn vermissen.«
    Kariks Wangen waren weiß und kalt. Silas entdeckte keinerlei Hinweis auf eine Verletzung. »Wie ist es geschehen?«
    »Ich weiß es nicht.« Eine Skizze hing an der Wand. Sie zeigte einen kleineren Fluß, der sich zwischen bewaldeten Hängen hindurchwand. Die Skizze war in Schwarz und Weiß gehalten und wirkte seltsam unvollendet. Der Künstler hatte sie Flußtal genannt. In der unteren rechten Ecke stand ein Datum zu lesen, zusammen mit einer Signatur, und Silas bemerkte mit gelindem Schrecken, daß sie von Arin Milana stammte, einem Mitglied der gescheiterten Expedition nach Haven. Die Skizze war auf den 23sten Juni im 197sten Jahr seit der Gründung der Stadt datiert. Die Expedition war im März jenes Jahres aufgebrochen, und Karik war Anfang November allein zurückgekehrt. Das war inzwischen neun Winter her.
    »Er ging gerne allein über die Klippe spazieren. Dort oben, siehst du? Er muß ausgerutscht und in den Fluß gefallen sein.« Flojian trat zum Fenster und blickte hinaus. »Vielleicht hat sein Herz versagt.«
    »Hatte er denn Probleme?«
    »Mit dem Herzen? Nein. Nicht, daß ich wüßte.« Flojian Endine war eine etwas schlankere, rührige Ausgabe seines Vaters. Die gleiche Physis, doch ohne jede Leidenschaft. Flojian war ein zuverlässiger Bürger. Wohlhabend, tatkräftig und intelligent. Silas glaubte nicht, daß es irgend etwas auf der Welt gab, für das Flojian bereit gewesen wäre zu kämpfen. Nicht einmal für Geld. »Nein. Soweit ich weiß, war er kerngesund. Aber du hast ihn ja gekannt. Falls er krank gewesen ist, hat er es für sich behalten.«
    Silas war ein Jahr älter als Karik, und er wunderte sich über die Gefühllosigkeit in Flojians Bemerkung. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich habe Karik schon lange nicht mehr gesehen, aber ich werde ihn sehr vermissen. Irgendwie fehlt etwas, jetzt, wo ich weiß, daß er nicht mehr bei uns ist.« Silas und Karik waren zusammen aufgewachsen. Sie hatten den Fluß herausgefordert und über dem rauschenden Wasser auf Hollys Brücke gestanden, wo sie sich geschworen hatten, gemeinsam die Geheimnisse der Straßenbauer zu erkunden. Während der Kriege gegen Argon und die Flußpiraten hatten sie gemeinsam als Soldaten gedient, und gemeinsam hatten sie zu Füßen von Filio Kon aus Fernstraße ihre Ausbildung absolviert.
    Stellt alles in frage, hatte Kon ihnen immer wieder eingetrichtert. Die ganze Welt besteht aus Illusionen. Es gibt nichts, das Menschen nicht zu glauben bereit wären, wenn es nur überzeugend genug präsentiert wird, oder mit genügend Autorität. Eine Lektion, die Silas gründlich gelernt und die ihn gut beraten hatte, als Karik Freiwillige für seine Expedition in das Niemandsland des
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