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Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)

Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)

Titel: Die Essensvernichter: Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist (German Edition)
Autoren: Stefan Kreutzberger , Valentin Thurn
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Jens hat eine Ausbildung, Metallschlosser, aber er will nicht in einem Fabrikjob versauern, macht lieber seine Metallkunst, kann aber noch nicht davon leben. Bei Jens ist es also eher eine Frage des Lebensstils. Das gilt längst nicht für alle: »An den Containern begegnen mir auch viele Omis, die sich dort ihr Essen herausfischen und in ihr Wägelchen füllen. Aber die reden nicht so gerne. Vielleicht schämen sie sich.«
    »Es wird immer schwieriger«, klagt Jens. »Ein großer Discounter lässt seinen Müll direkt in einem Kompakter verschwinden, da bleibt nur noch Matsch.« Am meisten aber ärgert ihn, wenn Supermärkte ihren essbaren Abfall mit Chlorbleiche oder anderen Chemikalien überschütten, damit ihn keiner mehr sammeln kann. »Was für eine verrückte Welt: Es ist erlaubt, Gift auf Lebensmittel zu schütten, aber verboten, Lebensmittel aus der Tonne zu holen.«
    Nach deutschem Recht sind die Lebensmittel auch dann noch Eigentum der Supermärkte, wenn sie sich bereits in der Mülltonne befinden. Wer sich also daraus bedient, begeht Mülldiebstahl. Klingt absurd, hat aber tatsächlich bereits mehrfach deutsche Gerichte beschäftigt. Zum Beispiel das Amtsgericht in Döbeln, Sachsen.
    »Strafbefehl. Am 13.4.2010 entwendeten Sie … aus einer Tonne verschiedene originalverpackte Lebensmittel mit offensichtlich abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum, um die Gegenstände für sich zu verwenden. … Die Staatsanwaltschaft hält wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten.«
    Die beiden Angeklagten, Frederik und Christof, wollten die Strafe von 10 bzw. 20 Tagessätzen à 10 Euro nicht akzeptieren. Sie wollen im Notfall sogar lieber eine Gefängnisstrafe in Kauf nehmen, um damit auf ihren Protest gegen die Lebensmittelvernichtung aufmerksam zu machen. Ihr Anliegen ist politisch: »Die eigentliche kriminelle Handlung ist die tägliche Lebensmittelvernichtung, während weltweit über 20   000 Menschen täglich wegen Unterernährung sterben!«
    Die beiden haben einen Unterstützerkreis, der für den Tag der Gerichtsverhandlung eine Aktion vorbereitet hatte. Als Fernsehteam vom Mars verkleidet, machten sie den Marktplatz von Döbeln unsicher. Mit einer Möhre als Mikrofon sprachen sie die Passanten an: »Hier auf der Erde geschehen seltsame Dinge. Heute Nachmittag sollen Menschen wegen Mülldiebstahl verurteilt werden. Was meinen Sie dazu?«
    Mit der Aktion gelang es ihnen tatsächlich, einige empörte Passantinnen zum Besuch des Prozesses zu animieren. Als sie zum Amtsgericht kamen, war dort für weitere Unterhaltung gesorgt. Zwei der Aktivisten kletterten auf die Fahnenmasten vor dem historischen Amtsgericht – sie waren bestens mit Seilklemmen vorbereitet – und entfalteten ein Transparent: »Was ist schon Müll? Lebensmittelvernichtung stoppen!« Die eilig herbeigerufene Feuerwehr kam zu spät. Polizisten versuchten, die Klettermaxe herunterzubeordern, aber die weigerten sich. Darauf war man nicht vorbereitet – Derartiges hatte man in dem kleinen sächsischen Provinzstädtchen noch nicht gesehen.
    Mit einiger Verzögerung begann dann der Prozess gegen die »Mülldiebe«. Die Amtsrichterin musste bald feststellen, dass die Angeklagten zwar ohne Rechtsanwalt gekommen waren, aber keineswegs ohne Rechtskenntnisse. Die Verhandlung begann kurz nach 14 Uhr. Mit einer Flut von Anträgen konnten Frederik und Christof erreichen, dass der zunächst auf eine Stunde festgesetzte Termin sich bis 22 Uhr hinzog – bis die Richterin ermüdet aufgab und die Verhandlung vertagte.
    Jetzt könnte man sagen: eine Provinzposse. Leider eine, die sich ständig wiederholt. Keine sechs Wochen später zum Beispiel vor dem Lüneburger Amtsgericht. Der Vorwurf: Der Angeklagte habe Kekse aus einer Mülltonne gestohlen. Kann man weggeworfene Kekse stehlen?
    Die Supermärkte verteidigen ihren Abfall, bundesweit, und juristisch ist die Sachlage ganz einfach, denn der Abfall ist ihr Eigentum. Einige Richter machen allerdings von ihrem Recht Gebrauch und stellen den Prozess wegen »Geringfügigkeit« ein. Allerdings werden meist Sozialstunden oder eine Geldstrafe verhängt.
    Das ist schon sehr deutsch – wir haben weltweit gedreht und Mülltaucher in vielen Ländern getroffen; weder in Wien noch in New York würde es einem Richter einfallen, ein solches »Vergehen« zu ahnden. »Mülltaucher« ist übrigens die direkte Übersetzung aus dem amerikanischen »Dumpster Diver«.
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