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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte
Autoren: Scott Nicholson
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wie eine Schlange bohrte sie sich auch in die hinterste ihrer Gehirnwindungen.
    »Nein«, sagte sie und schlug die Tür des Küchenschranks zu. Sie hatte absolute nichts gehört. Denn es gab keine innere Stimme.
    Besonders diese nicht, die diesen seltsamen Zischlaut von sich gab, der sie wie ein krankheitsgeschwängerter und todesbringender Wind bis auf die Knochen erschaudern ließ.
    Als Robert zehn Minuten später in die Hauseinfahrt bog, hatte sie noch immer nicht ihre dunkle Prophezeiung abschütteln können.
    Denk an was Schönes. Für die Kinder. Für ihn. Für dich selbst.
    »Sieht aus, als hättest du einen anstrengenden Tag gehabt«, sagte sie, als Robert sich mit den Ellbogen zuerst durch die Tür zwängte, auf den Armen Kopien von Radiosendungen, Kassetten und feuchten Umschlägen aus Manilapapier.
    »Absolut«, sagte Robert. Er beugte sich vor um sie zu küssen. »Aber die Sonne kommt gerade durch die Wolken hindurch.«
    Sie musste also nur positiv denken! »Hmmm. Noch so ein Kuss und ich bekomme einen Sonnenbrand.«
    Er zwinkerte. »Später, wenn es dunkel ist.«
    »Ist das deine Vorhersage?«
    »Nein, Liebling, das ist ein Versprechen!« Er lud seine Arbeitsutensilien auf dem Sofa ab und setzte sich hin. Sofort war er in seiner eigenen Welt und beschäftigte sich intensiv mit einigen Werbeprospekten.
    Tamara klopfte auf den Tisch. »Hallo? Fragst du gar nicht, wie mein Tag war?«
    »Sicher. Stell dir vor: Für das Blütenfest möchten sie im Baumarkt eine extra Kampagne starten.«  Er summte eine noch nicht ganz ausgereifte Melodie und sagte dann in seiner Radiostimme: »Der Frühling ist da und die Vögel singen, Zeit zum Putzen, Waschen und Besen schwingen. Klingt gut, nicht wahr?«
    »Mein Tag war schön. Ich habe bewiesen, dass es keine übersinnlichen Wahrnehmungen gibt.«
    »Wie bitte?«
    »Mein Mann kann nicht einmal meine Lippen lesen, wie soll er da meine Gedanken lesen können?«
    »Entschuldige!« Robert legte seine Blätter zur Seite, ging zu ihr und massierte ihr den Nacken. »Ich hätte Angst davor, deine Gedanken zu lesen. Aber ich kann die Sprache deines Körpers lesen wie ein offenes Buch. Jede einzelne Seite.« Er wanderte mit seinen Händen immer tiefer, musste aber damit aufhören, als Kevin mit einer Ladung Holz ins Zimmer kam.
    »Hat sich deine innere Stimme wieder gemeldet?«, flüsterte Robert ihr zu.
    Sie blickte ihn nicht an und nickte dann schwach. Dies war einer der wenigen Momente, in denen sie wünschte, lügen zu können. Er nahm seine Hände von ihren Schultern, die Zimmertemperatur fiel augenblicklich um zehn Grad und die Hausarbeit gewann plötzlich an Bedeutung.
    Tamara und Kevin nippten an ihrer heißen Schokolade und kümmerten sich um das Feuer, während Robert mit dem Abendbrot begann. Nach dem Essen setzte sich Tamara mit einem Stapel von Aufsätzen ihrer Studenten an den Küchentisch. Aber sie war unkonzentriert und ihr Blick wanderte immer wieder zum Fenster. Die Welt da draußen war rau, grau und hässlich. Der Regen floss in silbernen Bächen die Fensterscheibe hinab. Die Wassermassen wirkten bedrohlich auf Tamara, so als ob sie in das Haus kommen und es sich dort gemütlich machen wollten.
    So als ob dünne Finger ans Glas kratzten, kratzten und wieder kratzten und nach einem Sprung in der Scheibe suchten.
    Und das Geräusch, das das Wasser machte: shu-shaaa, shu-shaaa .
    Sie drehte ihren Stuhl so, dass sie statt dem Fenster die Wand anblickte und nicht mehr an das Wetter dachte. Ein Sturm war in dieser Jahreszeit in Windshake keine Ausnahme, sondern eher die Regel.  Sie versuchte sich einzureden, dass alles in Ordnung war, dass ihre Familie in Sicherheit war. Alle waren geborgen und bald würden sie schlafen gehen.
    Glücklich, glücklich, glücklich.
    Aber ihre innere Stimme ließ sie nicht los, beschäftigte ihre Gedanken und beunruhigte ihr Herz. Der leise Flüsterton verfolgte sie noch den ganzen Abend und sogar bis in ihren unruhigen Schlaf hinein. Im Bett aber blieb zwischen ihrem Körper und dem ihres Mannes eine meterbreite Schicht aus Eis.
     
    ###
     
    Ralph Bumgarner schwenkte ein Einweckglas in der Hand und hielt es in das Licht der Sonnenstrahlen, die durch die kahlen Äste einiger Eichen brachen. Ralphs Gesicht bestand hauptsächlich aus Ohren, Zähnen und einer großen Nase. Sein Kopf schien vor allem dafür da zu sein, eine Baseballkappe, auf der ein Schriftzug des Kautabakherstellers Red Man prangte, zu tragen. Wie ein Wissenschaftler, der
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