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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte
Autoren: Scott Nicholson
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Maschendraht, der vor dem Eingang zu dem Obststand gespannt war, drang das letzte Flackern des schwachen Tageslichts und strich über ein Regal mit Honiggläsern, auf denen sich das Licht wie goldgefärbte Augen spiegelte. Tomahawks aus Gummi und burgunderrote Maiskolben hingen von den Dachsparren. Eine lebensgroße Puppe eines typischen Hillbillys einer amerikanischen Kleinstadt, mit einem Maiskolben als Pfeife, die aus dem buschigen schwarzen Bart ragte, saß unter einer Plastikplane in einem Schaukelstuhl und fixierte mit ihrem aufgenähten Gesicht die Landstraße.
    Maisbauern und Barn Dance, Kirchenaktivitäten und Strickmuster. Kuhweiden und Maisfelder. Lagerhallen für Burley-Tabak und Läden mit Kunsthandwerk. Windshake war kein amerikanischer Schmelztiegel, sondern eher ein großer, schwarzer Siedekessel, in dem man seine geschlachteten Schweine abbrühte.
    Der malerische Charme des Lebens in einem Bergdorf war bereits nach wenigen Monaten verflogen gewesen. Ein ziemlich großer Unterschied zu Chapel Hill. Die Gesellschaft dort hatte internationales Flair und war ein sprudelnder Quell von neuen Ideen. Dort trafen sich die Leute in Kaffeehäusern und Bars um über Sartre und Pollock zu diskutieren, über Camus und Marxismus. Hier tranken die Leute auf dem Parkplatz eines Motels Branntwein aus Plastikbechern und unterhielten sich über Radkappen. Sie war sich nicht sicher, welche Art des Lebens sie für attraktiver halten sollte.
    Das leise zischende Geräusch machte sich wieder auf den Weg durch die Windungen ihres Gehirns: Shhhhh.
    Nein. Sie hörte keine telepathischen Signale. Ihre innere Stimme sollte schweigen. Denn sie war ja nicht echt, nicht wahr?
    Tamara drehte ihr Radio noch ein Stückchen lauter und Fred Schneider fantasierte in seinem amphetamingeschwängerten Sprechgesang  über ein Mädchen vom Planeten Claire. Sie bog in die enge Straße ab, die in ihre Wohngegend führte, eine kleine Ansammlung von Häusern am Fuße eines Berghanges. Je näher sie zur Auffahrt ihres Hauses kam, desto mehr krampfte sich ihr Magen zusammen, so als ob ihr Körper bereits eine neuerliche Auseinandersetzung vorausahnen würde. Wie würde es heute sein, kalte Gleichgültigkeit oder siedend heißer Zorn?
    Denk positiv.
    Wenigstens hatte Rob hier einen Job und ihre Familie war relativ sicher. Sie konnte sich glücklich schätzen, dass sie die Stelle in Westridge gefunden hatte. Auch wenn sie dafür ihre Stelle als Assistentin an der University of North Carolina aufgegeben hatte, wo sie als Zukunftshoffnung im Institut für Psychologie gegolten hatte.
    Denk nicht mehr dran. Robert wollte dort bleiben, wollte, dass du Karriere machst. Das hatte er zumindest gesagt. Wahrscheinlich war dort der erste Riss in ihrer Beziehung entstanden, der kleine Rinnsal, aus dem schließlich ein reißender Fluss geworden war.
    Sie hatte lang genug zugesehen, wie sein Gesicht immer länger und älter wurde, als er Tag für Tag erfolglos von der Arbeitssuche nach Hause kam, müde und ausgelaugt davon, Demobänder an die verschiedenen Radiosender in Piedmont zu schicken und die Anrufbeantworter der Programmverantwortlichen vollzusprechen. Verärgert über die Jungspunde, die zwar die neuen Medien beherrschten, dafür aber nicht in der Lage waren, einen talentierten Radiosprecher von einem unfähigen zu unterscheiden.
    Als Robert ein Angebot für eine Stelle bekam, hatte sie entschieden, dass es für sein Selbstwertgefühl und ihr gemeinsames Glück besser wäre, wenn sie hierher ziehen würden. Für sie selbst hatte es eine Gehaltseinbuße bedeutet und auch mit Roberts Arbeitslohn stieg das gemeinsame Haushaltseinkommen nur unmerklich an. Das Opfer, das sie erbracht hatte, wurde jedoch mit mürrischem Ressentiment vergolten. Dazu kamen bei ihr Schlafstörungen und dauernde Kopfschmerzen, die ihre Situation auch nicht besser machten.
    Und alles nur, weil sie so dumm gewesen war und ihrem Mann die Vermutung, dass sich ihre innere Stimme wieder bei ihr meldete, mitgeteilt hatte.
    Die Stimme kam wieder, lauter und diesmal weiter in die Länge gezogen: Shhhhuuu.
    So, als ob ihre innere Stimme eine neue Sprache ausprobieren oder eine längst vergessene wieder in Erinnerung rufen wollte. 
    Sie bog in ihre Hausauffahrt und versuchte die quälende Stimme in ihrem Kopf aus ihren Gedanken zu verbannen. Denk an was Schönes. Es war ein hübsches Haus aus hell gebeiztem Zedernholz mit Verzierungen aus dem rötlichen Holz des Mammutbaums. Keine Garage,
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