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Die Erfolgsmasche

Titel: Die Erfolgsmasche
Autoren: Hera Lind
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zerbrochen«, setzt Siegfried noch einen drauf.
    »Was hatten Sie denn angestellt?«, frage ich neugierig.
    »Ich war vom Baum gefallen.«
    »Und dafür wurden Sie auch noch geschlagen? Ich meine, Sie hatten sich doch sowieso schon wehgetan!«
    Ich stemme die Hände in die Hüften.
    »Ja, aber meine Hose war zerrissen.«
    Ich schüttle entrüstet den Kopf. »Was waren Eltern früher grausam!«
    »Sie haben die Kinder schon sehr früh das Fürchten gelehrt«, sagt Siegfried. »Und dann haben wir alle nie wieder aufgemuckt.«
    »Ich glaube, ich halte es lieber aus, dass sie aufmucken«, sage ich leise. »Wenn sie dafür später kein gebrochenes Rückgrat haben.«
    Siegfried hört nicht auf, mich anzuschauen, mit diesem kleinen Anflug eines wehmütigen Lächelns.
    Draußen poltert Greta wutschnaubend durch den Flur. Noch immer reißt sie Schubladen und Schranktüren auf und knallt sie wütend wieder zu.

    »Ein ganz normaler pubertärer Anfall«, gebe ich eine Spur zu salopp von mir. »Da muss man gelassen bleiben.«
    Die Tür fliegt erneut auf. »Nur damit du es weißt!«, schnauzt mich eine inzwischen vollständig angezogene Greta an. Sie steckt in ihren geliebten rot-schwarz karierten Stoffschuhen, die bei dem Schneematsch draußen wohl nicht ganz das Richtige sind, ihren schwarzen Jeans mit dem Totenkopfgürtel, ihrer schrill gemusterten Markenjacke und hat ihre obercoole Jamaica-Gammel-Look-Strickmütze auf. »Wenn ich hier nicht Shisha rauchen darf, dann mache ich es eben mit Toni am Bahnhof. Du bist schuld, wenn wir uns erkälten.«
    Die Wohnungstür wird zugepfeffert. Danach läuten erst mal wieder die Glocken.
    Wir sitzen eine Weile schweigend da, Siegfried und ich. Ich höre unsere Herzen schlagen.
    »Hier ist ja ganz schön was los«, sagt Siegfried schließlich. Er wirkt völlig erschöpft.
    Ein paar Sekunden lang bin ich wie gelähmt. Dann nicke ich langsam. Verblüfft bemerke ich, dass mir eine Träne aus dem Augenwinkel schlüpft. Wo kommt die denn plötzlich her? Verlegen wische ich mir über das Gesicht.
    »Tut mir leid, dass Sie das jetzt alles so mitkriegen …«
    »Passt schon«, sagt Siegfried schlicht. Dafür liebe ich die Österreicher. Dass sie ständig und in jeder Situation »Passt schon« sagen. So auch Greta, wenn ich sie mal umarmen oder küssen will. Passt schon, Mama. Das heißt übersetzt: Hau ab.
    Siegfried wendet sich wieder der Maus zu. »Hier können Sie mit der Wiederherstellungsfunktionstaste …« Er schaut mich mitfühlend an. »Oder sollen wir eine Pause machen?«
    »Aber nein! Fahren Sie fort! So was muss man als moderne Mutter locker wegstecken! Das darf man einfach nicht so eng
sehen …« Ich breche ab und reibe mir die Stirn. Was fasele ich denn da? Ich merke, wie sehr mir die Sache mit Greta nahegeht. Meine Stimme fängt an zu beben. »Ja, vielleicht können wir ganz kurz die Fenster öffnen. Sie wird doch bei dem Wetter nicht …« Ich lehne mich hinaus. Unten in der engen Altstadtgasse liegt noch das Erbrochene der Nachtschwärmer. Wir sind umgeben von Nachtclubs, Studentenheimen, Touristenpensionen und Kneipen. Aber von meiner Kleinen keine Spur. Ich spähe ausgiebig nach links und rechts. In der Frühstückspension gegenüber werden gerade im vierten Stock die Betten gemacht. Eine Frau Holle schüttelt sie aus.
    »Grüß Gott«, rufe ich freundlich hinüber. »Haben Sie zufällig gesehen, in welche Richtung meine Tochter gegangen ist?«
    »Naa, leider«, sagt Frau Holle. Siegfried darf derweil einen verlegenen Blick auf meinen Hintern werfen. Auch wurscht.
    Im selben Moment höre ich, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wird. Greta. Die verlorene Tochter kehrt zurück. Sie hat es sich anders überlegt. In Erwartung meiner reumütigen Greta breite ich unwillkürlich die Arme aus. Doch der verstrubbelte rötliche Haarschopf, der nun knapp unter dem Türrahmen erscheint, gehört meinem achtzehnjährigen Sohn Alex. Aha. Kommt der auch schon nach Hause.
    »Mama, bei wie viel Grad wäscht man einen Teppich?«
    Das heisere Krächzen verheißt nichts Gutes.
    »Sag erst mal Hallo.«
    »Hi«, krächzt der Sohn. »Und welches Waschpulver muss ich benutzen?«
    »Das ist Siegfried, mein Computerberater, und das ist Alex, mein Sohn.«
    Wieder will Siegfried aufspringen und einem meiner wohlgeratenen Sprösslinge die Hand reichen, aber auch diesmal ist sein Bemühen zwecklos.

    Ich kneife die Augen zusammen und bete, Folgendes hinzufügen zu können: »Dies ist mein ausgeschlafener,
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