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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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ein Pianist, sondern seit Deiner Kindheit auch ein Schriftsteller. Du hast gelebt wie ein Schriftsteller, und Du hast gearbeitet wie ein Schriftsteller! Dein ganzes Leben war eine Erziehung zum Schreiben und ein Eintauchen in die Schrift!
     
    Ich fand diese Deutung großartig, sie hatte zwar etwas Berauschtes, gerade das aber gefiel mir besonders an ihr. Außerdem war zweifellos etwas daran, ja, es war nicht ganz von der Hand zu weisen, dass ich ohne mein Zutun seit den Kindertagen gewisse Eigenheiten hatte, wie sie sonst nur Schriftsteller hatten. Es hatte mich nur noch niemand darauf hingewiesen, ja, es war noch niemand auf diesen naheliegenden Gedanken gekommen.
    Ich selbst hatte mein ewiges Notieren und Schreiben eher für ein Gekritzel gehalten, und meine Eltern, die als Einzige davon ebenfalls wussten, hätten es auch nicht viel anders bezeichnet, sondern zu den Skurrilitäten unseres Familienlebens gerechnet.
    Fornemanns Deutung verblüffte mich daher selbst und machte mich zugleich auch ein wenig stolz, er hat recht, ich bin ein Schriftsteller, dachte ich, verdammt, der kluge Fornemann hat es noch vor mir selbst erkannt! Ich hielt ein Glas in der Hand, als ich diesem Gedanken noch etwas folgte: War das, was ich gerade zu Hause schrieb, dann vielleicht noch eine Steigerung, ja, war es am Ende bereits Li-te-ra-tur ?
     
    Ich spürte, wie mich der Übermut packte, ich klammerte mich an mein Glas, dann sagte ich leise: Es ist ein Aufbruch, ich arbeite an der Geschichte eines Aufbruchs. Ich sehe den Vollmond, meine Geschichte beginnt mit dem Vollmond. An einem Abend fliegen Wolkenfetzen um den Vollmond, das ist der Beginn... Um den Vollmond fliegen Wolkenfetzen, die sich sofort wieder zerstreuen. Die fahle Himmelsdecke ist an einigen Stellen weit aufgerissen, ich kann die leuchtenden Sterne erkennen. Auf einem vorbeifahrenden Lastschiff flattern Wäschestücke an einer Leine, und eine Tür ist so weit geöffnet, dass der Lichtschein auf ein neben der Wäsche stehendes Fahrrad fällt …
     
    Was ist das?, fragte Fornemann und setzte sein Glas erstaunt ab. – Das ist der Anfang einer Geschichte, sagte ich. – Und wo spielt diese Geschichte? – Die Geschichte beginnt am Rhein, antwortete ich, wo sollte meine Geschichte denn sonst beginnen? – Sehr gut, sagte Fornemann, Deine Geschichte beginnt am Rhein. Und genau diese Geschichte schreibst Du jetzt auch. – Die ganze Geschichte? – Die ganze Geschichte! – Und was mache ich dann mit ihr? – Wenn Du ein paar Seiten hast, schickst Du sie mir, dann sehen wir weiter. – Wie weiter? - Lass mich nur machen, ich kenne Menschen genug, die davon etwas verstehen! -
     
    Kurze Zeit nach diesem Gespräch hatte ich beinahe alle Vorschläge Fornemanns in die Tat umgesetzt. Ich hatte zu studieren begonnen, wahllos und gleich mehrere Fächer, ich kellnerte in einem Lokal in Rodenkirchen direkt am Rhein, und ich schrieb fast jeden Tag eine oder zwei Seiten, den Beginn einer Geschichte. Als ich nach fünfzig Seiten noch nicht fertig war, sondern das Gefühl hatte, es müsse immer weitergehen, schickte ich Fornemann diesen Anfang und wartete auf seine Rückmeldung.
     
    Sie kam nach etwa zwei Wochen und bestand zunächst in Fornemanns Erklärung, sich selbst zu der Geschichte noch nicht äußern zu wollen. Als zweites schlug er jedoch vor, ich solle zu einem Literaturwettbewerb an den Wörthersee fahren, um den Anfang meiner Geschichte dort vorzutragen. Ich könnte das hinbekommen, sagte er, ich könnte Dich in diesem Wettbewerb platzieren. – Und ich soll vorlesen, ich soll meine eigene Geschichte vorlesen? – Ja, warum denn nicht? – Ich habe noch nie jemand etwas vorgelesen, und erst recht nichts von mir selbst. – Dann tust Du es eben zum ersten Mal. – Aber warum? Warum sollte ich an so etwas teilnehmen? – Weil sich dort unten am Wörthersee eine Riege guter Kritiker über Deine Geschichte unterhält. – Ich soll mich gleich einer solchen Kritik aussetzen? – Du sollst genau das tun, was Du früher als Pianist getan hast: an einem Wettbewerb teilnehmen, Dein Können beweisen. Es ist wie damals, es ist eine Rückkehr zu unseren gemeinsamen Auftritten. Du erinnerst Dich doch? – Ich erinnere mich an alles, an jedes Detail. – Na bitte, Du kennst Dich mit so etwas aus, ein solcher Wettbewerb bringt Dich nicht durcheinander. Im Vergleich mit einem Pianisten-Wettbewerb ist dieses Vorlesen ein Klacks. Wenn Dich die Kritiker verreißen, denken wir noch einmal über
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