Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
war die wirtschaftliche Lage anders als in den Gründerjahren. Das Geld wurde knapper, die Preise wurden immer mehr gedrückt, die Konkurrenz, vor allem aus Japan, stieß mit Kampfpreisen in die Märkte vor. Der Expansionsboom erlahmte. Man mußte rationalisieren.
    In dieser kritischen Phase der Weltwirtschaft, einer globalen Rezession, starb der alte Stavros. Müde, von seiner Muskellähmung fast zur Unkenntlichkeit entstellt, resignierend an der Seite seiner schönen, lebenslustigen Frau, die es fertigbrachte, an einem Vormittag in der Rue Faubourg St.-Honoré in Paris bei einem der großen Couturiers 60.000 Dollar umzusetzen in Kleider und Mäntel, Schuhe und Accessoires, die sie dann nur einmal trug – oder gar nicht. »Sie ist eine Nymphomanin des Kaufens!« hatte Stavros einmal gesagt. »Aber ich kann ihr nichts verbieten! Wer könnte Nany etwas verbieten?« Als er starb, hinter zugezogenen Gardinen in einem Krankenzimmer, das kleiner war als die Kammern seiner Diener, war auch seine Zunge schon gelähmt, und er konnte nicht mehr sagen, was er seit Monaten bedrückt dachte: Vertragt euch! Das Leben ist kurz. Ich habe es genossen, aber jetzt, da es zu Ende geht, sehe ich, wie vieles ich falsch gemacht habe. Milliarden sind nicht alles. Freilich, wer sie nicht hat, beneidet uns darum. Aber wer sie hat, bricht darunter zusammen. Ich möchte noch einmal ein einfacher griechischer Bauer oder Fischer sein und am Strand einen Sirtaki tanzen, so wie Alexis Sorbas im Film. Das war schön. Das war Glück. Da war man ein Mensch. Vertragt euch …
    Sie hatten sich vertragen, Lyda, die Erbin, und Nany, die Witwe. Ein Vertragen auf Dollarbasis. Das Testament des alten Stavros war klar und unanfechtbar. Es sorgte vor allem für die Erhaltung seines Lebenswerkes, stellte seine Tochter finanziell sicher und verrammelte gleichsam sein Erbe vor dem Zugriff des Johnes-Clans in Amerika. Am 3. Januar 1974, in einem Flugzeug zwischen Acapulco und New York, schrieb er seinen Letzten Willen auf: 59 Schiffe, drei Inseln, Raffinerien und Werften, Lebensmittelfabriken und Industriebetriebe, zahlreiche Liegenschaften und das modernste und schönste Hochhaus in New York, eine Sinfonie in Beton, Glas und Marmor, vermachte er seiner Tochter Lyda. Für Nany, seine Frau, sorgte er großzügig durch eine Rente, eine Abfindung und durch kleine Minderheitsbeteiligungen: ein Butterbrot im Vergleich mit dem Riesenerbe Lydas.
    Die Firma ist alles. Eine Frau kann man auswechseln und auszahlen. Wer das nicht einsieht, hat Stavros Penopoulos nie begriffen.
    Die Witwe Nany sah es ein. Sie war klug genug, den Haß der Erbin nicht noch zur hellen Flamme zu schüren. Sie begnügte sich, aber sie rächte sich auf ihre Weise. Als schöne Witwe tauchte sie wieder in den lebenslustigen Kreisen auf, tanzte und lachte und ließ das Gerücht unwidersprochen, daß sie viel nachzuholen habe.
    Kostas Portales betrat mit sorgenvoller Miene Stavros' großes Arbeitszimmer, in dem jetzt seine Tochter residierte. In einem einfachen Baumwollkleid saß sie hinter dem riesigen Schreibtisch, ein wenig verloren, aber mit wachen Augen, immer sprungbereit, wie eine Tigerin, die sich umzingelt sieht. Stets lag Mißtrauen in ihrem Blick. Zwar hatte gerade Kostas Portales von ihr gesagt: »Das Mädchen ist brillant! Ich vertraue ihrem Einfühlungsvermögen mehr als meiner Intelligenz, ja sogar mehr als der Intelligenz ihres Vaters. In wenigen Jahren wird sie einer der besten Schiffahrtexperten der Welt sein und ohne den Rat alter Glatzköpfe auskommen.« Aber dagegen stand ein Artikel in einer großen griechischen Wochenzeitung, und Lyda vermutete, daß er von dem Club ihrer Direktoren in Athen inspiriert war. Man schrieb: »Sie ist hart und zynisch, nervös und explosiv. Sie ist unstet und schwankend wie ein Supertanker ohne Ballast. Welten trennen sie von ihrem Vater. Stavros kam von ganz unten – sie kommt von ganz oben. Ihr Vater konnte mit seinen Seeleuten saufen und fluchen. Das kann sie nicht.«
    Das blieb in ihr haften, war ein schmerzender Stachel in ihrem Fleisch. Aber sie hatte es erwartet. Gleich nach dem Tod des Vaters und der Eröffnung des Testaments rief sie alle Direktoren und Berater des Konzerns nach London. In einem schwarzen, einfachen Kleid, fast wie eine griechische Bäuerin aussehend, trat sie vor die Führer des Imperiums hin und sagte mit fester Stimme: »Ich bin zwar eine Frau, aber zugleich bin ich eine Penopoulos! Von nun an haben Sie alle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher