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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Autoren: Richard Duebell
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öffnete die Tür. Das Tageslicht blendete ihn, die Sonne schien ihn im ersten Moment zu verbrennen. Plötzlich fiel ihm ein, dass er schon seit Tagen nicht mehr draußen gewesen sein musste, geistesabwesende Gänge auf den Abtritt ausgenommen. Er hatte nicht einmal aus dem Fenster gesehen, oder wenn, dann hatte er nichts wahrgenommen. Die Felder rund um Königshof waren dort, wo sie brachlagen oder Wintergetreide gesät worden war, von einem grünen Hauch überzogen. Vögel sangen. Er hatte nicht mehr gewusst, wie laut Vögel singen konnten, wenn sie erkannt hatten, dass der Frühling nun endgültig da war. Der Gesang schnitt in sein Herz.
    Vor dem Pfarrhaus standen ein Mann und eine Frau. Er kannte sie nicht. Er blinzelte ins Licht und dachte, dass seine Gesichtsmuskeln erstarrt wären, so schwerfällig kamen sie dem Befehl nach, die Augen zusammenzukneifen. Nach einigen Herzschlägen wurde ihm bewusst, dass er etwas sagen musste.
    »Und?«
    »Ich hoffe, wir stören Sie nicht«, sagte der Mann.
    »Es ist nur ein Besuch«, sagte die Frau.
    Pfarrer Biliánová spähte an ihnen vorbei. Auf der Dorfstraße neben dem Pfarrhaus stand eine Kutsche.
    »Wir möchten … äh … wir möchten die Kleine sehen«, sagte die Frau. »Geht es ihr gut?«
    »Das Kind?«, wiederholte der Pfarrer mit brüchiger Stimme. »Sie möchten das Kind sehen!?«
    »Ja. Wenn es möglich ist. Wir führen nichts Böses im Schilde.«
    Wie betäubt trat Pfarrer Biliánová einen Schritt zurück. Das Paar folgte ihm und trat ein. Der Mann lächelte ihm freundlich zu. Die Frau hatte Tränen in den Augen, aber auch sie lächelte. Etwas fasste in František Biliánovás Hirn und entzündete dort einen Funken und etwas anderes in seine Seele und zupfte dort eine Saite. Er blinzelte so langsam wie eine Eule.
    »Ist das dort die Wiege? Darf ich …? Ooh …« Die Frau verstummte, als sie vor der Wiege stand. Pfarrer Biliánová sah die dünnen Ärmchen seines Kindes durch die Luft wedeln und hörte das Glucksen. Er warf dem Mann einen hilflosen Seitenblick zu, aber dieser wischte sich mit dem Handrücken eine Träne von der Wange. Der Pfarrer wandte sich wieder der Frau zu, doch sie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und weinte lautlos. Als das Bild vor seinen Augen verschwamm, merkte František Biliánová, dass auch er zu weinen begonnen hatte.
    »Du bist …«, stammelte er, weil mit den Tränen die Erinnerung wiedergekommen war, »du bist …«
    »Ich konnte ihr nicht helfen«, schluchzte sie. »Ich konnte ihr nicht helfen. Ich habe jahrelang gelernt, um solch eine Situation in den Griff zu bekommen, und ich konnte ihr nicht helfen. Es war ein Wunder, dass das Kind überlebte.«
    »Du hast …«, stotterte Pfarrer Biliánová.
    »Ich brachte es nicht fertig, dir ins Gesicht zu sehen. Ich habe gewartet, bis ich dich von fern über die Felder stapfen sah, dann bin ich gegangen. Ich hätte bleiben und deinen Schmerz teilen sollen, aber ich fürchtete, es würde mich zerbrechen.Ich bin geflohen. Ich habe mich an dir versündigt. Ich bitte dich um Verzeihung.«
    Pfarrer Biliánová stakte auf tauben Beinen vorwärts. Sie ließ die Hände sinken und hob ihm das Gesicht entgegen. Er starrte sie an.
    »Hat sie … hat sie noch was …?«
    »Sie hat an dich gedacht. Und sie hat dabei gelacht. Sie war glücklich.«
    Er merkte erst, dass er in sich zusammengesunken war, als er sich nach vorn beugte und mit dem Kopf an die Wiege stieß. Ein Schmerz, der schlimmer war als jeder andere, den er zuvor empfunden hatte, schnitt ihm durch den Leib, riss die Wunde auf, fuhr in sein Herz und zerschmetterte das verkrümmte, verkrampfte, verhärtete, vernarbte Selbst, das sich in seinem Inneren versteckte, in tausend Scherben. Er begann zu weinen, rau und mit tiefen, zerrissenen Schluchzern.
    »Popelka«, stöhnte er. »Ich vermisse dich so. Popelka …«

    Nach einer Weile stellte er fest, dass er aufhören konnte zu weinen. Er fühlte sich wie jemand, der von wirbelnden Schwertklingen zerhackt worden ist. Er fühlte sich wie jemand, der von Schwertklingen zerhackt worden ist und es überlebt hat. Die Frau, die Popelkas Hand bei ihrem letzten Atemzug gehalten und sein Kind auf die Welt gebracht hatte, kauerte neben ihm.
    »Ich glaube, ich habe dir nie meinen Namen genannt«, sagte sie. »Ich bin Alexandra von Langenfels. Das ist mein Mann – Wenzel von Langenfels.«
    Der Mann mit dem grau durchschossenen roten Haarschopf nickte ihm zu.
    František Biliánová
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