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Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Titel: Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
Autoren: C.H.Beck
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abgelagert im Sediment, die vergangenen Jahrtausende überstanden. Im Pollendiagramm (auf der rechten Seite der Abbildung) zeigt sich, dass nacheinander (von unten nach oben) Kiefern, dann verschiedene Laubbäume (Ulmen, Linden, Eichen), Fichten, Buchen und schließlich wieder Fichten in der Umgebung des Moores vorherrschten. Über Funde von Getreidepollenkörnern kann man herausfinden, wann in der Umgebung des Moores Ackerbau betrieben wurde. Dann bestanden dort auch bäuerliche Siedlungen; für den Fall, dass sich etliche von ihnen in den Sedimenten mit archäologischen Methoden nicht mehr aufdecken lassen, kann ein pollenanalytischer Nachweis einer Siedlung der einzig mögliche sein. Aus ergänzenden Analysen zum Alter des Kohlenstoffes in den Torfablagerungen weiß man, dass die Ablagerungen, deren Pollengehalte im Diagramm dargestellt sind, in einem Zeitraum von etwa 10.000 Jahren entstanden.
    Ein sehr wesentliches generelles Resultat der Untersuchungen wird meistens übersehen: Die Anteile der Pollentypen variierten stets von Schicht zu Schicht. Eine Stabilität von Vegetation und Landschaft wurde in den letzten Jahrtausenden nie erreicht, und dies gilt auch, wenn man andere Zeiträume in die Untersuchung mit einbezieht. Stabilität suggerieren allerdings die Landschaftsdarstellungen auf der linken Seite der Abbildung, mit denen die Entwicklung im Pollendiagramm anschaulich gemacht werden soll. Aber auch durch den Vergleich der Bilder wird klar: Natur änderte sich unaufhörlich, sie war zu keiner Zeit stabil.
    Die Abläufe der Vegetationsgeschichte, die aus Pollendiagrammen hervorgehen, sind immer wieder vor allem klimageschichtlich gedeutet worden. Diese Interpretation liegt aber keineswegs derart klar auf der Hand, wie man dies behauptet hat. Auch eine ganze Reihe anderer Entwicklungen nahm Einfluss auf die stets dynamischeVegetationsentwicklung und deren Folge, die Ablagerung von Pollenkörnern. Zu nennen sind beispielsweise die Bodenentwicklung und vor allem der sich im Lauf der Zeit wandelnde Einfluss des Menschen auf seine Umwelt. Durch den Menschen wurden Wälder verändert oder gerodet, es entstanden Freiflächen, auf denen Getreide angebaut wurde, oder es wurden Flächen aufgeforstet. [42]
    Abb. 3-3 Ein vereinfachtes Pollendiagramm aus dem westlichen Oberbayern und Rekonstruktionen von Landschaften verschiedener Zeithorizonte.
    Klimageschichtliche Zeitreihen werden heute eher auf der Grundlage schriftlicher Quellen (sie liegen nur für die vergangenen zwei Jahrhunderte in einiger Verlässlichkeit vor) und auf der Grundlage von sogenannten Proxy-Daten ermittelt: Messungen zu den Gehalten von Kohlenstoff- und Sauerstoffisotopen im grönländischen Inlandeis und in der Landschaft dokumentierte Gletscherständeals Marken für Gletschervorstöße lassen sich im Hinblick auf eine Klimageschichte interpretieren. [43]
Auf Interpretation oder Bewertung beruhende Metaphern
    Bei der Darstellung oder Beschreibung von Landschaften wurden und werden immer wieder Metaphern verwendet, die der erklärenden Interpretation dienen sollen. Eine schöne oder bemerkenswerte Landschaft wurde beispielsweise als Arkadien, Paradies, Schweiz oder auch «Natur» bezeichnet. Warum gerade diese Begriffe verwendet wurden, könnte Untersuchungsgegenstand einer philologischen Analyse sein. Von wissenschaftlicher Seite kamen zahlreiche weitere interpretierende Benennungen von Landschaften hinzu, etwa Buchenwaldregion, alpine Stufe oder Realteilungsgebiet. Diese Bezeichnungen können für die rasche Charakterisierung oder Typisierung einer Landschaft sehr hilfreich sein. Sie können aber auch in die Irre führen, wenn nicht kritisch überprüft wird, ob die interpretierende Benennung tatsächlich zutrifft. Wichtig ist es auf jeden Fall, die Bewertungen und Metaphern als solche zu erkennen und sie nicht mit Tatsachen zu verwechseln, die sich in einer speziellen Landschaft ohne Überprüfung ermitteln lassen.
Zusammenführung von einzelnen Analysen zu Synthesen
    Die aufgeführten Methoden tragen dazu bei, ein detailreiches Bild von heutiger Landschaft als Resultat einer jahrtausendelangen Geschichte sowie von den Bewertungen zu entwickeln, die Zeitgenossen und Nachgeborene dazu gegeben haben. Es wird kaum je gelingen, alle diese Methoden zugleich an einem bestimmten Ort zur Anwendung zu bringen. Doch je mehr von ihnen genutzt werden, desto detailreicher fällt die Synthese zu einer Landschaft aus.

  4 Natur
Gegenwart von
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