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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode
Autoren: Petra Oelker
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bleiben wollte, durfte sich dem nicht verschließen. Das hatte er, Schröder, Boehlich immer wieder gesagt, wenn sie im
Bremer Schlüssel
saßen und über Gott und die sich gar zu rasch drehende Welt räsonierten. Das Bewährte, hatte der Drucker dann stets gesagt, bleibe das Bewährte. ‹Lass andere das Neue versuchen und sich ruinieren. Wenn’s doch funktioniert, ist immer noch Zeit, es zu übernehmen.› Sein Faktor war wohl anderer Meinung gewesen, aber klug genug, sich seinem Herrn zu fügen.Sicher war es sein Einfluss, der Luise Boehlich ihre Geschäfte so klug führen ließ, auch wenn sie seit jeher ihren eigenen Kopf hatte. Abraham hatte es in seiner Ehe gewiss nicht immer leicht gehabt.
    Nur gut, dachte er und schob die Tür zum Gasthaus
Zur blauen Möwe
auf, dass die Boehlichin sich nicht mehr lange mit der Druckerei plagen musste. Cornelis Kloth, der Boehlich’sche Faktor, galt als ernsthafter Mensch, als ein Fuchs in Geschäften und als Ehemann – nun, er verstand einen Scherz, war in den besten Jahren und würde sie und ihre Kinder schon nicht in Sack und Asche gehen lassen.
    Juni, dachte Luise Boehlich noch, als sie die Caffamacherreihe hinuntereilte. Seit Wochen dachte sie immer wieder: Juni. Das war der verabredete Monat, und damals, im September, war ihr die Zeit bis dahin sehr lang erschienen. Bis zum letzten November. Sie hatte um Abraham getrauert und das Versprechen, das sie ihm in der Nacht vor seinem Tod gegeben hatte, für selbstverständlich genommen. Es war auch jetzt noch vernünftig und ehrbar. Sie musste es einlösen.
    Sie bog in den Valentinskamp ein und wandte sich nach rechts. Vor der Schröder’schen Bäckerei blieb sie stehen, schnupperte dem köstlichen Geruch von warmem Brot nach und sah die Straße hinunter, in der sie seit zehn Jahren lebte. Ihr Geist war müde und überwach zugleich. Gegen die Sonne, die gerade erst über die Dächer geklettert war und die noch morgengrauen Fassaden mit sanften Farben bemalte, schienen ihr die Reihen der Häuser wie ein Traumbild, vertraut und doch auf seltsame Weise fremd. Die Luft der frühen Stunde war glasklar – der Tag würde wieder Regen bringen – und ließ sie die Straße wiedurch eine vergrößernde Linse sehen. Hatte sie je die zierlichen steinernen Farnwedel über der Tür der Feinwäscherei bemerkt? Die moderigen Flecken an den Balken im Fachwerk des nur zwei Fenster breiten Häuschens am Durchgang zur St.-Anscharkapelle? Oder um wie viel stärker der Giebel ihres Nachbarhauses vorkragte als all die anderen?
    Jeden Tag war sie an alledem vorbeigegangen und hatte nichts gesehen. ‹Unsinn›, würde Merthe sagen, sollte sie je so leichtfertig sein, Abrahams Schwester von diesen Gedanken zu erzählen. ‹Unsinn. Was ändert ein Farnwedel, was ändert ein vorragender Giebel an deinem Leben. Warum vertust du Zeit mit Herumstehen und Straßenhinunterstarren?› Merthe war ein durch und durch vernünftiger Mensch.
    Als Luise vor einer guten Stunde ihr Haus verlassen hatte, war die Straße bis auf einige Karren und mit schweren Körben zum Markt eilenden Frauen aus den Kohlhöfen verlassen gewesen. Nun waren die Stadttore geöffnet, die Zöllner hatten die ersten Wagen geprüft, und vom Gänsemarkt her ratterten hoch beladene Fuhrwerke über das grobe Pflaster. Vor den Werkstätten fegten die Lehrjungen die Straße, in weit geöffneten Fenstern lag Bettzeug zum Lüften, Wasserträgerinnen schleppten ihre doppelte Last vom Brunnen am Großneumarkt. Eine Schar Jungen flitzte vorbei, gewiss auf dem Weg zu einer der Armenschulen in der Neustadt, und scheuchte lärmend ein paar Hühner auf, die gierig in noch dampfenden Pferdeäpfeln kratzten.
    Sie hatte wirklich keine Zeit herumzustehen. Umso mehr genoss sie den Blick entlang der Straße, empfand sie die Wahrnehmung jeder Einzelheit als ein Geschenk.Als sei sie endlich auf einer dieser Reisen, von denen sie als Mädchen geträumt hatte, wohl wissend, dass sie sie nie antreten würde. Sie wollte von nun an dankbar sein: Wohl hatte sie viel verloren, doch ihre Welt war immer noch unendlich reich. Sie musste sich nur bemühen, den Reichtum zu sehen.
    An diesem Morgen hatte sie nicht nur Dankgebete für Onnes Rettung gesprochen, sie hatte Gott auch um Vergebung gebeten. Und um himmlischen Schutz für einen Reisenden. Sünde. Das war es wieder, das kleine gemeine Wort. Sünde. Aber Onne lebte, war das nicht ein Zeichen des Himmels, dass ihr vergeben worden war?
    Onne habe es geschafft, er
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