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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition)
Autoren: Christian Buder
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schon durch das Tal, Raketen zerplatzten zu bunten Sternen – saßen Alice, Tom und Amalia nebeneinander auf dem Dach des Krankenhauses. Alice legte ihre Hand auf Toms Schulter.
    »Sind wir jetzt verlobt?«, fragte er.
    Alice zeigte mit dem Finger auf eine rotblaue Rakete. Sie explodierte fast über ihren Köpfen.
    »Siehst du«, sagte sie, »so ist es mit dem Verloben. Zischhhhh und Pengggg. Alles nur Rauch. Ich frage mich, warum die Menschen so gerne an Worte glauben.«
    Amalia schützte reflexartig ihre Haare, und als sie feststellte, dass sie keine Frisur mehr hatte, sondern einen geschorenen Kopf, da begann sie laut zu lachen.
    Je kälter es wurde, desto näher rückten sie auf dem Dach zusammen, bis die letzte Rakete am Himmel erloschen war.
    Als sich die Nacht und ihre klirrende Kälte über ihnen zusammenzogen, standen sie auf. Alice blickte unten auf den Parkplatz des Krankenhauses. Ein einsamer Mann stand dort, die Hand am Kinn. Von oben hätte sie Wittgenstein fast nicht erkannt. Sie winkte ihm. Amalia und Tom sahen nach unten.
    »Wem hast du gewinkt?«, wollte Tom wissen.
    »Wittgenstein.«
    Tom schaute noch einmal auf den Platz, als er jedoch nichts da unten sah, warf er ihr einen fragenden Blick zu. Sie winkte dem hageren Philosophen, der sich umdrehte und in der Nacht zum Jahreswechsel in einer dunklen Gasse verschwand.
    Neujahr. Amalia hatte sich in ihr Zimmer eingesperrt und telefonierte. Tom hatte Silvester bei Alice im Gästezimmer verbracht. Ihr Vater hatte die Rollläden geöffnet, und die Sachen ihrer Mutter in den Keller geschafft. Tom war der Erste, der auf der Couch saß, auf der ihre Mutter ihre Bücher aus der Leihbibliothek gelesen hatte.
    Das neue Jahr begann mit einer Nachricht. Ihr Vater hatte sie angerufen. Sie hatten Stephan Lehmko die ganze Nacht gesucht, bis sie seine Spur gefunden hatten. Es musste in der Zeit geschehen sein, als sie das Feuerwerk angesehen hatten. Die Temperatur hatte in dieser Nacht zum Neujahrstag mehr als25 Grad unter null betragen. Es gab nichts, was bei dieser Kälte nicht gefror. Lehmko hatte den Weg in die Berge eingeschlagen. In der Nacht war er zurückgekehrt zu der Stelle, an der die Polizei die Leiche seines Vater gefunden hatte. Stephan Lehmko hatte sich hingesetzt, die Arme verschränkt und den Blick in den Himmel gerichtet. Er war der letzte Eistote, von dem man in Hintereck gehört hatte.
    Vor das Holzkreuz in der Kurve nach Hintereck hatte jemand frische Rosen gelegt.

Über die »Eistoten« – ein Interview
    Herr Buder, Sie sind von Hause aus Philosoph, haben über Hegel in Paris promoviert – wir kommt es, dass Sie einen Thriller schreiben?
    Philosophen versuchen die Wirklichkeit in Begriffen darzustellen. Sie reduzieren Veränderung, Bewegung auf denkbare Einheiten. Die Literatur geht den entgegengesetzten Weg. Sie bringt Bewegung dorthin, wo wir glauben, Dinge verstanden zu haben. Der Krimi und der Thriller sind ein Genre, das genau dieses Verwirrspiel des Lesers ermöglicht. Anfangs ist die Welt noch, wie wir sie verstehen, alles ist in Ordnung, doch an irgendeiner Stelle bricht etwas Dunkles in die Ordnung unserer Welt. Etwas, wofür wir keine Worte haben und was sich unserem Verstand entzieht. Der Thriller ist nichts anderes als eine Kriminalliteratur, bei der nicht nur das Rätsel im Vordergrund steht und natürlich dessen Lösung, sondern wir leiden mit dem Helden. Wir kämpfen an seiner Seite gegen die Mächte, die im Dunkeln bleiben wollen. Beim Schreiben baue ich eine heile Welt, in die ich dann Unordnung bringe. Dies muss aber so geschehen, dass ich selbst auch noch nicht genau weiß, wohin die Reise geht. Ich weiß es ungefähr, aber letztendlich verbindet mich mit der Hauptfigur der Wille zur Wahrheit.
    Ich habe in Deutschland mit Philosophie und neuer deutscher Literatur begonnen. Dann stieß ich auf die Philosophie und das Denken des französischen Philosophen Jacques Derrida.Ich ging nach Paris, um dort Philosophie zu studieren. Bei Derrida entdeckte ich eine Form des Denkens, die nicht nach klaren Antworten suchte, sondern er betrieb so etwas wie eine Rekonstruktion der Fragen, die wir uns nie gestellt haben, aber deren Antworten wir zu wissen glauben. Diese archäologische Wühlarbeit hat mich beim Schreiben von Thrillern stark geprägt. Es geht eben nicht nur darum, die Frage zu beantworten: »Wer war der Mörder?«, sondern der »Mörder« ist nur Teil einer tiefer gehenden Frage. Seine Identität erlöst uns nur für kurze
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