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Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Titel: Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.
Autoren: Alan Sillitoe
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große, ummauerte und umzäunte Herrenhaus mitten im Nirgendwo dazu verwendet wird, Burschen wie mich hinter Schloß und Riegel zu halten. Und wenn ich die Oberhand hätte, würde ich mir nicht erst die Mühe machen und so eine Anstalt bauen, um die ganzen Bullen, Direktoren, Prominenznutten, Federfuchser, Armeeoffiziere und Parlamentsmitglieder da reinzusperren; nein, ich würde sie an die Wand stellen und abknallen, wie die's vor Jahren mit Kerlen wie mir gemacht hätten, das heißt, falls sie je gelernt hätten, was ehrlich sein heißt, aber das lernen die nicht und werden die auch nie lernen, wahrhaftigen Gotts.

    Fast anderthalb Jahre war ich schon in dem Borstal, als ich zum erstenmal dran dachte, abzuhauen. Ich kann nicht viel erzählen, wie es da drin eigentlich so war, weil das nicht meine starke Seite ist, ein Gebäude zu beschreiben oder zu sagen, wie viele wacklige Stühle und vergitterte Fenster zu einem Raum gehören. Ich kann mich auch nicht groß beschweren, denn wenn ich offen sein soll, ich hatte in dem Borstal überhaupt nichts auszustehen. Ich geb dieselbe Antwort wie ein Kumpel von mir, den einer fragte, wie furchtbar er's beim Militär fand. »Ich fand's gar nicht furchtbar«, sagte er. »Ich bekam zu essen, bekam was anzuziehn und Taschengeld, was eine ganze Menge mehr war, als ich je zuvor gekriegt hab, wenn ich mich nicht dafür zu Tode schuftete, aber die meiste Zeit haben sie mich nicht arbeiten lassen, sondern zweimal die Woche stempeln geschickt.« Na, das ist ungefähr das, was ich auch sage. In der Hinsicht hat mir die Anstalt nichts getan; da ich also keine Beschwerden vorzubringen habe, brauch ich auch nicht schreiben, was sie uns zu essen gaben, wie die Schlafsäle waren oder wie sie uns behandelt haben. Aber auf eine andre Weise macht das Borstal was mit mir. Nein, es bringt mich nicht in Wolle, denn in Wolle bin ich schon gewesen, gleich von Geburt an. Folgendes macht es aber: es gibt mir eine Vorstellung von Dingen, mit denen sie mich einzuschüchtern versuchen. Die haben nämlich noch andere Sachen, wie das Gefängnis und schließlich den Strang. Das ist, wie wenn ich losstürze, um jemand zu verbleuen, und ihm den Mantel vom Buckel reiße, plötzlich aber bremse, weil er ein Messer aus der Tasche zieht und es hochreißt, um mich wie eine Sau abzustechen, falls ich ihm zu nahe komm. Dieses Messer ist das Borstal, der Knast, der Strang. Hat man aber erst mal das Messer gesehn, lernt man was vom Kampf ohne Waffen. Man muß, weil man ja so eine Art Messer nie in die Finger kriegt, und mit diesem Kampf ohne Waffen kann man nicht viel ausrichten. Immerhin braucht man ihn, und so stürzt man sich weiter auf den Mann, ob Messer oder nicht, und versucht, mit der einen Hand sein Handgelenk und gleichzeitig mit der anderen seinen Ellbogen zu fassen und den Arm nach hinten zu drücken, bis er das Messer fallen läßt.

    Ihr seht also, wie sie mich ins Borstal geschickt haben, haben sie mir das Messer gezeigt, und seitdem weiß ich was, was ich vorher nicht gewußt hab: zwischen mir und denen herrscht Krieg. Natürlich hab ich das schon immer gewußt, denn ich war auch im Erziehungsheim, und die Jungs dort haben mir eine Menge von ihren Brüdern im Borstal erzählt, aber das war nur ein Abtasten wie bei kleinen Katzen, wie mit Boxhandschuhen, wie zum Beschnuppern. Aber jetzt, wo sie mir das Messer gezeigt haben - egal, ob ich je in meinem Leben noch mal was klau oder nicht -, jetzt weiß ich, wer meine Feinde sind und was Krieg ist. Sollen sie meinetwegen so viele Atombomben werfen, wie sie wollen: nie werde ich das als Krieg bezeichnen und eine Soldatenuniform anziehen, denn ich steh in einem Krieg andrer Art, den die wieder für ein Kinderspiel halten. Der Krieg, den die für Krieg halten, ist Selbstmord, und diejenigen, die hingehn und sich im Krieg umbringen lassen, sollte man wegen versuchtem Selbstmord einsperren, denn das Gefühl haben nämlich die Kerle, wenn sie hinwetzen und sich freiwillig melden oder einberufen lassen. Ich weiß das, weil ich manchmal selber dran gedacht hab, das beste wär, Schluß zu machen, und der einfachste Weg schien mir, auf einen großen Krieg warten, sich freiwillig melden und umbringen lassen. Aber das ist bald vergangen, wie ich merkte, daß ich mich in einem eigenen Krieg befand, daß ich in einen hineingeboren war, daß ich mit den Berichten von Veteranen im Ohr aufwuchs, die in Dartmoor in der Patsche steckten, in Lincoln halb umgebracht wurden und
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