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Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)

Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)

Titel: Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
Autoren: Susann Pásztor
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niemand fühlte sich danach je berufen, ihr Werk zu vollenden. Eine Buddhastatue wacht über einen künstlichen Gartenteich und schaut leicht verdrossen auf die freiliegende schwarze Teichfolie am Ufer. Ein Stück weiter hat jemand einen Stapel Holz abgeladen, noch unentschlossen, was man damit anstellen soll, und der Moosschicht nach ist das schon vor einer ganzen Weile geschehen. Mein Weg endet plötzlich vor einem Haufen Feldsteinen und lässt sich nicht weiterverfolgen, also mache ich kehrt und schiebe mit den Füßen das Laub vor mir her. Es gefällt mir hier, und die Aussicht, nachher bei der Gartenarbeit selbst etwas zu dieser Unvollkommenheit beizutragen, beflügelt mich geradezu. Ein paar Meter vom Hauseingang entfernt entdecke ich unter einer Eiche eine selbst gezimmerte Bank mit unverstelltem Blick auf den Besucherparkplatz: Das Raucherparadies scheint eines der wenigen Projekte zu sein, das zu Ende gebracht werden konnte. Im Moment hat es Rastaman ganz für sich allein. Seinen Kopf weit nach hinten in den Nacken gelegt, inhaliert er mit geschlossenen Augen und sieht entspannt und glücklich dabei aus.
    Im Flur hinter der Eingangstür hat sich ein Stau aus heimkehrenden Spaziergängern gebildet, die ihre Straßenschuhe gegen Hausschuhe tauschen. Ein Chaosforscher hätte sicher seine helle Freude an so einer Situation, in der man normalerweise nicht ohne »Entschuldigung« oder »Darf ich bitte mal kurz« auskäme. Schräg hinter mir hockt ein Mann und löst umständlich seine Schnürsenkel. Ich versuche mich zu erinnern, ob ich ihn gestern zu den Businessmännern oder zur Waldorflehrerfraktion gezählt habe, aber da jetzt alle im Einheits-Schlabberlook herumlaufen, mich eingeschlossen, fällt die Zuordnung schwer. Welche Kategorie auch immer, er gehört zu denen, die Frauen auf den Hintern starren. Ich werfe ihm einen scheinbar zufälligen Blick über die Schulter zu und stelle mit Genugtuung fest, dass er errötet und sich schnell wieder seinen Schuhen zuwendet.
    Weil ich weiß, dass es an diesem Vormittag drei aufeinanderfolgende Sitzrunden geben wird, erscheine ich mit meiner Survivalausrüstung ein paar Minuten früher im Meditationsraum, um noch Zeit zum Ausprobieren zu haben. In meiner Vision hatte ich rittlings auf meinem hochkant gestellten Kissen gesessen, was ein präzises Austarieren und viel zusätzliches Dämmmaterial für Knie und Füße erfordert. Zwei Paar Socken reichen da längst nicht mehr aus, deswegen habe ich kurzerhand Kopfkissen und Bettdecke aus meinem Zimmer mitgenommen und damit ein Stirnrunzeln bei Lydia hervorgerufen, die gerade ein stummes Zwiegespräch mit dem kleinen Inder auf ihrem Altar führte. Aber der Aufwand hat sich gelohnt, das Ergebnis ist außerordentlich zufriedenstellend und rechtfertigt meine kreativen Abschweifungen vom Ende der Morgensitzung. Wie sinnvoll ich meine Zeit doch genutzt habe, denn: Dieser Vormittag wird lang werden.
    Die erste Stunde läuft recht passabel, zumal ich ganz hervorragend sitze: kein Taubheitsgefühl, kein Kribbeln, höchstens kalte Füße. Aber dann, gleich in den ersten Minuten der nächsten Runde, überfällt mich eine bleischwere, unwiderstehliche Müdigkeit, als hätte mir jemand eine Narkoseinfusion verabreicht. Fatal, wenn man mit geschlossenen Augen dasitzt. Immer wieder schrecke ich panisch hoch, weil ich kurz zusammensacke und die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren drohe. Schließlich reiße ich die Augen auf und starre angestrengt auf die Holzmaserung des Fußbodens vor mir. Als er zum dritten Mal direkt auf mich zukommt, begreife ich, dass es tatsächlich möglich ist, mit offenen Augen einzuschlafen. Ich versuche es mit Selbstgeißelung und presse die Fingernägel meiner rechten Hand in die Innenfläche der linken, bis es richtig wehtut, aber lange halte ich das nicht durch. Mentale Foltermethoden liegen mir ohnehin mehr, also zwinge ich mich, an das beschissenste Lied aller Zeiten zu denken und den Text aufzusagen, damit ich wach bleibe. Was für eines könnte das sein? Mir fallen nur englische Lieder ein, von denen ich lediglich den Refrain kenne. Es muss ein deutsches Lied sein. Welches Lied habe ich als Kind gehasst?
Es waren zwei Königskinder,
die hatten einander so lieb.
Sie konnten zusammen nicht kommen,
das Wasser war viel zu tief.
    Na wunderbar, da ist es ja. Hallo Scheißlied. Wie konnte ich dich jemals vergessen?
»Ach Liebster, kannst du nicht schwimmen?
So schwimm doch her zu mir!
Drei Kerzen
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