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Die Durchschnittsfalle (German Edition)

Die Durchschnittsfalle (German Edition)

Titel: Die Durchschnittsfalle (German Edition)
Autoren: Markus Hengstschläger
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alle verschieden. Jetzt herrscht hohes, ja höchstes Maß an Individualität in unserem System, in unserer Pfütze. Umso mehr Mitglieder, desto höher das Maß an Individualität, an Anderssein. Und warum soll das gut sein? Nehmen wir wieder unser Problem aus der Zukunft – eine erhöhte Wassertemperatur. Wir haben gesagt, wenn das erste Tierchen das nicht aushält, herrscht in unserer sexlosen Pfütze Panik und alle werden sterben. Jetzt sind aber viele verschiedene durch Sex entstandene Tierchen in unserer Pfütze. Und trotzdem, viele werden auch jetzt sterben. Aber ein paar (wenige) befinden sich nun in unserer Pfütze, die sich über das Sterben der anderen eigentlich nur wundern. Sie halten nämlich diese neuen Umweltbedingungen aus. Sie haben offensichtlich als Konsequenz der mit Sex verbundenen Neukombination, Rekombination und der spontanen Mutationen (genetischen Veränderungen) die Eigenschaft erhalten, eine höhere Temperatur auszuhalten und zu überleben. Neuzusammenstellungen und Mutationen des Erbguts also, die sich unter den neuen Umweltbedingungen als vorteilhaft herausstellen, ermöglichen jetzt das Überleben von zumindest ein paar Tierchen in unserer Pfütze. Ohne Sex wäre die Pfütze mittlerweile schon leer und die Hydra in diesem System bereits ausgestorben. Das ist der Grund, warum die meisten mit bloßem (und manchmal erregtem) Auge sichtbaren Lebewesen Sex bevorzugen (und die Gründe, die Sie angeführt hätten, sind eigentlich sekundär). Ich möchte noch einmal sagen, dass in Wirklichkeit auch asexuelle Fortpflanzung zu verschiedenen Varianten führen kann (durch spontane Mutationen), die Individualität jedoch bei sexueller Fortpflanzung höher ist.
    Individualität und Zufall
    Zusammengefasst bedeutet das also: Umso höher die Individualität in unserem System, umso mehr Verschiedene in unserem System sind, umso eher ist einer unter uns, der die Antwort kennt. Da wir die Frage (weil sie ja aus der Zukunft auf uns zukommt) noch gar nicht kennen, ist es reines Glück (im Sinne von Zufallsglück), reiner Zufall also, ob und wenn ja, wer von uns die Antwort kennt. Talente kann man deshalb nicht werten, weil man nicht weiß, welche wir brauchen werden, um die Fragen der Zukunft zu beantworten. Warum also die unglaubliche Stimme einer Elīna Garanča oder das Ballgefühl eines Lionel Messi ein größeres Talent als unseres sein soll, kann schlüssig niemandem einleuchten. Das Talent tritt erst wirklich zutage, wird erst wirklich relevant, wenn die Frage auftaucht.
    Das Glück, dass einer oder mehrere unter uns sind, die Antworten haben werden (und das ist noch in keiner Weise mit Glücklichsein verbunden), kann man erkaufen, steigern, wahrscheinlicher machen, indem man darauf achtet, dass möglichst viele Verschiedene in unserem System sind. Ja, umso mehr Verschiedenartigkeit herrscht, je höher die Individualität ist, desto mehr Glück hat das System. Ganz ähnlich der Tatsache, je öfter ich würfle, desto öfter wird auch ein Sechser dabei sein. Der Durchschnitt ist ein Würfel, bei dem jede Seite dieselbe Augenzahl hat. Und ein Sechser ist es nicht.
    Die Systeme lernen stets dazu
    Natürlich können die genetischen Prozesse, die im Zuge sexueller Fortpflanzung ablaufen, auch für die Nachkommen von Nachteil sein. Das ist der Preis. Das Wesentliche für unsere Diskussion ist aber folgende Beobachtung: Je mehr verschiedene Tierchen in unserem System sind, desto höher das Maß an Individualität ist, umso eher sind immer ein paar dabei, die auf die unvorhersehbare Frage aus der Zukunft eine Antwort wissen. Die werden überleben. Wobei es hier nicht unbedingt darum geht, wer mehr aushält, wer stärker ist, sondern Fitness im Sinne von Evolution bedeutet Fortpflanzungserfolg, Fortpflanzungsvorteil. Die wenigen, die sich wundern, warum es den vielen anderen bei der höheren Wassertemperatur so schlecht (sogar sterbensschlecht) geht, werden sich wieder fortpflanzen können. Selbst wenn sie sich untereinander nicht sehr sympathisch sind, sollten sie sich sexuell fortpflanzen wollen, werden sie sich wohl oder übel einigen müssen. Sie pflanzen sich also sexuell fort und es entstehen dadurch wieder viele verschiedene Nachkommen.
    Aber die Zukunft, mit all ihren ungelösten unerwarteten Problemen, drängt sich weiter in das traute Leben in unserer Pfütze und macht die Gegenwart zur Vergangenheit. Schon tritt also das nächste Problem aus der Zukunft auf uns zu, von dem niemand eine Ahnung haben
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