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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß
Autoren: Yalda Lewin
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eindeutig nicht abgeheilt, sondern eine akute Form der Erkrankung.«
    Dann heftete er zwei weitere Röntgenbilder an die durchscheinende Tafel. »Hier die beiden anderen Frauen. Olga Kusmina und Ewa Petrowa. Auch hier: hoch aktive tuberkulitische Nachweise im Röntgenbild. Und übrigens auch in Sputum und Magensaft, das habe ich in den Akten nachgeprüft. Die Damen waren so infektiös, die helle Freude für jeden Mikrobiologen.«
    »Ja, alle Frauen hatten eine offene TBC.« Ich trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Ich hatte das Gefühl, zu dicht neben Mirella zu stehen. Und doch die Distanz zwischen uns niemals überbrücken zu können. »Dass hier drei solcher Fälle auftauchen, ist merkwürdig, in der Tat. Da aber alle Damen aus dem früheren Ostenblock stammten, auch wieder nicht so ungewöhnlich. Das ist nur eines der Gebiete weltweit, in denen die TBC wieder an Boden gewinnt.«
    »Richtig«, sagte Hades. »TBC ist auf dem Vormarsch und übertritt auch die Grenze zu uns. Manchmal in etwas hübscherer Form, als man es erwartet.«
    Ich erinnerte mich nur ungern an das Chaos, das die Leichenfunde vor knapp zwei Jahren ausgelöst hatten. Die Polizei tappte im Dunkeln, die Medien spielten verrückt und bauschten die Fälle zu einer neuen Tuberkuloseepidemie auf, sodass kurzfristig ganz Berlin von Panik vor einem neuen Aufflammen der Krankheit erfasst worden war. Von resistenten Keimen war die Rede, sogar von terroristischen Biowaffen. Nichts davon hatte sich bestätigt, doch es hatte gedauert, bis die Identität der Frauen geklärt worden war. Es handelte sich um illegale Einwanderinnen aus Weißrussland und der Ukraine. Der Hinweis war aus dem Rotlichtmilieu gekommen. Doch damit verlor sich die Spur. Alle Hinweise führten ins Nichts – fast alle. Denn gleichzeitig mit der Aufdeckung der Identitäten führten auch ungeheuerliche Anschuldigungen zu mir. Zwei Tage darauf war ich aus der Akademie geflogen. Zwei Monate danach war Mirella nur noch meine Exfrau. Und mein Leben ein Scherbenhaufen.
    Ich schüttelte die düsteren Erinnerungen ab. »Und was ist an diesem Fall jetzt anders?« Meine Stimme zitterte.
    »Zum einen die Funde von Quecksilber und Fowlerscher Lösung. Beides war bei den anderen Leichen nicht auffindbar«, antwortete er. »Und dann das Röntgenbild. Aus diesem Grund ist die Leiche bei uns gelandet und nicht in der Kühlkammer irgendeines Institutes. Hier«, sagte er und heftete ein weiteres Röntgenbild an den Betrachter, »fällt euch etwas auf?«
    Mirella stellte sich so dicht neben mich, dass sich unsere Arme fast berührten. Während wir beide das Bild betrachten, spürte ich ihre Gegenwart als schmerzliches Ziehen in meinem Herzen. Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte auf das Röntgenbild, als offenbare sich uns dort im nächsten Augenblick eine Erscheinung.
    Erwartungsvoll blickte Hades uns an. »Na? Toll, oder?«
    Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon er sprach. Für mich sah es aus wie jedes andere Röntgenbild. Aber ich war auch nicht bei der Sache. Er hätte mir ein Bild komplett ohne Lunge vorlegen können, wahrscheinlich wäre es mir in diesem Moment nicht einmal aufgefallen.
    Mirella zog scharf die Luft ein und beugte sich vor, um das Bild genauer zu betrachten. »Das gibt's ja gar nicht!« Es schwang eine fassungslose Aufregung in ihrer Stimme mit.
    Hades lachte leise. »Richtig, so könnte man das sagen. Guter Blick. Sollten sich die paar Semester Medizinstudium doch gelohnt haben?«
    Mirella schnaubte leise, ignorierte aber ansonsten die Anspielung. Ich wusste, dass sie nicht gern an das abgebrochene Studium erinnert wurde. Sie haderte noch immer damit, damals die Wahl zugunsten der Akademie getroffen zu haben. Und für mich. Was unsere Beziehung nicht immer einfach gemacht hatte.
    »Könnte mir mal jemand sagen, was hier so Hervorragendes zu sehen ist?«, fragte ich gereizt. »Oder soll ich rausgehen, damit ihr in Ruhe fachsimpeln könnt?«
    »Er meint es nicht so«, raunte Mirella Hades zu und streifte mich dabei mit einem Blick.
    »Doch, ich meine das sehr wohl so! Und fang nicht wieder mit diesem ‚Er will nur spielen‘-Tonfall an …«
    Mirella runzelte die Stirn. »Ich fange mit überhaupt nichts an. Wieso sollte ich auch?«
    Während wir uns anstarrten, wurde die Stille im Raum zum Schneiden dicht. In mir rangen die widersprüchlichsten Gefühle miteinander. Sie hatte mich verlassen. Sie hatte mir nicht geglaubt. Und dennoch …
    Hades seufzte und
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