Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß
Autoren: Yalda Lewin
Vom Netzwerk:
unterscheidet sich von den anderen Frauen, die vor zwei Jahren gefunden wurden. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Aber interessiert euch das überhaupt? Oder soll ich wiederkommen, wenn ihr eure Hormone sortiert habt?«
    Wie auf Befehl traten Mirella und ich einen Schritt zur Seite, voneinander weg.
    »Erzähl nicht so einen Blödsinn«, murmelte ich, und konnte doch nicht verhindern, dass mir ein Prickeln über den Rücken glitt. Die leichte Röte auf Mirellas Wangen konnte Zufall sein. Oder?
    Vergiss es, Jakob … Sie hat dir nicht vertraut. Sie hat sich scheiden lassen. Sie hat dich nicht ein einziges Mal angerufen in all den Jahren. Der Zug ist abgefahren. Sowas von abgefahren.
    Ich trat neben Hades an den Seziertisch. »Also schieß los. Was ist so besonders an ihr?«
    Hades lächelte breit. »Das solltest du doch am besten wissen.«
    Als ich irritiert die Brauen hob, zuckte er zusammen. »Oh, du meintest die Leiche.«
    Mirella stellte sich schweigend neben mich. Weit genug weg, um unverbindlich zu wirken. Nicht weit genug weg, um unverbindlich zu sein.
    »Wie gesagt, sehr beeindruckend.« Hades tippte auf die Schulter der Leiche. »In ihrem Körper habe ich eine Substanz gefunden, die ich mir nicht erklären kann. Also nicht, dass es neu wäre, dass wir hier Fälle nicht erklären können …«, fügte er hastig hinzu, eilte zurück zum Waschbecken und seifte ein zweites Mal die Hände ein. »Aber das hier ist wirklich faszinierend.«
    »Jetzt mach's nicht so spannend«, sagte Mirella. Sie klang angespannt. Ob auch sie merkte, dass unsere Zusammenarbeit nicht ganz einfach werden würde?
    Hades trocknete sich seelenruhig die Hände an einem Handtuch ab. Dann drehte er sich zu uns um und zog grinsend eine kleine Glasphiole aus seiner Kitteltasche. »Das hier«, sagte er, während er sie auf die Platte des Seziertisches stellte, »enthält die gleiche Substanz, die ich im Gewebe der Leiche gefunden habe. Wie ihr unschwer sehen könnt, handelt es sich um ein hochgeschätztes Stück aus unserem medizinhistorischen Museum. Und darin ist …«, er machte eine bedeutungsvolle Pause, »Argentum vivum. Quecksilber. Und hier wie im Gewebe der Leiche in nicht gerade homöopathischer Dosierung, das könnt ihr mir glauben.«
    Mit diesen Worten ging er ein drittes Mal zum Waschbecken.
    Mirella runzelte die Stirn. »Du hast dir doch eben erst die Hände gewaschen.«
    »Und ich werde es mit Sicherheit noch häufiger tun. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Übrigens«, fuhr er fort, »Arsenverbindungen waren auch nachweisbar. Wahrscheinlich wurde sie im Rahmen der Therapie mit der Fowlerschen Lösung behandelt. Kaliumarsenit. Und Lavendelwasser für den besseren Geschmack. Hochgiftig, aber früher hat man es Patienten gerne zur Kräftigung oder als Fiebersenker verabreicht. Aus heutiger Sicht natürlich vollkommener Irrsinn.«
    »Womit sich zumindest der Verdacht erhärtet, dass die junge Frau tatsächlich vor über 100 Jahren gelebt hat«, sagte Mirella.
    »Und trotzdem sieht sie aus wie der frische Frühling. Also, wenn man auf blassen Teint steht«, fügte Hades hinzu.
    »Quecksilber wurde früher zur Behandlung der Syphilis benutzt«, sagte ich.
    Hades Finger schnellte vor. »Exakt. Aber hier leider total daneben. Diese junge Dame litt nicht an der Syphilis. Dafür an einer Tuberkulose, wie auch die anderen Frauen, die tot aufgefunden wurden. Steht alles im Bericht, wisst ihr also schon.« Er grinste breit. »Das waren damals wirklich Sternstunden meiner Karriere. Traumhaft! Solche Schneegestöber in beiden Lungenflügeln habe ich selten gesehen. Hach, TBC … wunderschön, nicht wahr? Wenn sich die Infiltrate so abbilden auf den Röntgenaufnahmen – wie ein mit Puderzucker bestäubter Winterwald. Hübsch. Wirklich hübsch.«
    Er knipste das Licht des Röntgenbetrachters an der Wand an und zog ein paar bereitliegende Folien aus einem Regal. »Das hier«, sagte er, während er die erste Folie auf der Plexiglasscheibe befestigte, »ist eine Röntgenaufnahme von der Lunge des ersten Opfers. Ihr erinnert euch?«
    »Larissa Sidorenko«, murmelte ich heiser. Wie könnte ich die junge Frau jemals vergessen? Mit ihr hatte der ganze Wahnsinn schließlich angefangen. Ein plötzlicher Würgereiz überkam mich und ich musste mich sehr zusammenreißen, um ihn niederzukämpfen.
    »Auf dem Bild sieht man sehr deutlich, dass sie an Lungentuberkulose litt. Auch für Laien ohne Probleme erkennbar. Außerordentlich formschön. Und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher