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Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
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und sie war einmal bis nach Denver in den Westen vorgestoßen. Sie waren sich einig, daß sie eines Tages auch noch Europa, Westindien und vielleicht sogar Japan bereisen würden.
    Außerdem erfuhr sie, daß er fünfunddreißig war, fast zwei Jahre jünger als sie. Er war bisher weder verheiratet noch verlobt gewesen und lebte allein in einem kleinen Appartement in der Gegend des Gramercy-Parks. Er hatte einen kleinen Freundes- und Bekanntenkreis, hauptsächlich Geschäftspartner.
    Seine Feierabendvergnügungen beschränkten sich auf unregelmäßige Kino-, Theater- und Ballettbesuche. Er hatte einen Kurs an der Neuen Schule für Computertechnologie belegt. Bei Mr. Kurnitz arbeitete er gegenwärtig in einer kleinen Abteilung, und er hoffte, Mr. Kurnitz eines Tages dazu überreden zu können, das ganze Unternehmen an einen Computer anzuschließen.
    All das strömte aus Ernest heraus, ohne daß Zoe viel nachzufragen brauchte. Ernest Mittle war offensichtlich froh, über sich sprechen zu können, und plötzlich kam ihr der Gedanke, daß er vielleicht genauso einsam war wie sie.
    Als sie das Restaurant kurz vor acht Uhr verließen, hatte sich der Himmel bezogen. Ein beißender Wind fegte vom East River heran, und die Luft roch nach Schnee.
    »Wir nehmen uns ein Taxi«, verkündete Ernest Mittle und zog seine Handschuhe an.
    »Oh, das ist nicht notwendig«, sagte sie. »Ich kann mit dem Bus fahren. Auf der anderen Straßenseite ist eine Haltestelle.
    »Wo wohnen Sie, Zoe?«
    Sie zögerte einen Moment. Dann: »East 39th Street. Nahe beim Lexington Boulevard.«
    »Aber von der Bushaltestelle aus müssen Sie laufen. Allein. Das gefällt mir nicht. Schauen Sie, es handelt sich nur um zehn kurze Blocks. Warum gehen wir nicht zu Fuß? Es ist noch früh, und die Straßen sind noch voller Leute.«
    »Das müssen Sie nicht tun. Ich werde einfach…«
    »Kommen Sie«, sagte er überschwenglich und ergriff ihren Arm. »In Minnesota und Wisconsin ist heute ein milder Frühlingsabend !«
    Also marschierten sie los.
    »Als ich nach New York kam, hat mich so was furchtbar aufgeregt«, sagte Ernest. »Am Anfang. Aber mit der Zeit bemerkt man es kaum noch. Sie wissen ja, was die New Yorker sagen: ›Misch dich nicht in Dinge, die dich nichts angehen.«‹
    »Ich weiß«, sagte sie. »Trotzdem…«
    »Zoe, ich habe den ganzen Abend nur über mich selber gefaselt, aber Sie haben kein einziges Wort über sich gesagt. Arbeiten Sie?«
    »Oh ja. In der Sicherheitsabteilung des Hotels Granger.«
    »Das klingt interessant«, sagte er höflich.
    »Nicht wirklich«, sagte sie, und dann, vielleicht war es der Wein und der Brandy, jedenfalls begann sie von sich zu erzählen, sie, die sonst immer so verschlossen war.
    Sie erzählte Ernest, daß sie drei Jahre lang verheiratet gewesen und jetzt geschieden war. Sie erzählte ihm, daß sie zur Zeit allein lebte, und bereute die Worte im gleichen Augenblick. Eine geschiedene Frau, die allein lebte; sie wußte, wie Männer darauf reagierten.
    Sie erzählte, daß sie ein sehr ruhiges Leben führte, eine Menge las und dabei den Fernseher einschaltete. Sie gab zu, daß New York ihr von Zeit zu Zeit Angst einjagte. Es war so groß, so schmutzig und laut, so teilnahmslos. Aber sie hatte auch nicht die geringste Lust, je in den mittleren Westen zurückzukehren.
    »Ich weiß, was Sie meinen«, sagte er. »Es ist so schlimm, wie man es sich nur vorstellen kann, aber es ist auch — es ist aufregend. Erregend und faszinierend. In Trempealeau passiert eben nicht viel Unvorhergesehenes.«
    »Oder in Winona«, sagte Zoe. »Ich glaube, es ist eine Art Haßliebe. Was ich für New York empfinde, meine ich.«
    »Haßliebe«, sagte er nachdenklich. »Ja, das ist sehr richtig.«
    Sie bogen in ihre Straße, und sie begann sich Sorgen zu machen. Würde er einen Gutenachtkuß verlangen? Würde er darauf bestehen, sie bis zur Tür ihrer Wohnung zu begleiten? Würde er plötzlich häßlich und zudringlich werden?
    Aber als sie vor dem Hauseingang ankamen, blieb er stehen, streifte einen Handschuh ab und hielt ihr eine blasse Hand entgegen.
    »Danke, Zoe«, sagte er mit einem Lächeln. »Es war ein schöner Abend. Ich habe ihn wirklich genossen.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte sie überrascht und schüttelte seine weiche Hand. »Das Essen war wunderbar.«
    »Könnten wir es vielleicht irgendwann einmal wiederholen?« fragte er eifrig. »Darf ich Sie anrufen?«
    »Natürlich«, sagte sie. »Ich würde mich freuen. Meine Nummer steht
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