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Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)

Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)

Titel: Die Drei Federn - Joshuas Reise (German Edition)
Autoren: Stefan Bolz
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Bemerkenswertes. Nichts störte die tägliche Routine. Joshua hatte die klare, wolkenlose Nacht völlig vergessen und mit ihr seinen Entschluss, sich auf eine Reise zu begeben. Nur einige Male, während er nach Körnern pickte, einen Streit zwischen zwei Hennen schlichtete oder in seinem prächtigen Farbenkleid durch den Pferch stolzierte, hielt er inne – als hing er einem fernen Gedanken nach oder würde von einer flüchtigen Erinnerung oder einem vagen Gefühl erfasst. Aber im nächsten Moment war es schon wieder vorbei und er kehrte zu seinen Aufgaben zurück. Doch dann kamen die Träume.
    Zuerst waren sie neblig, verschwommen, nicht einmal richtige Träume. Rätselhafte, wolkige Gebilde, deren Konturen nur an den Rändern erkennbar waren. Doch im Lauf der Zeit entstand ein Bild aus dem Nebel, wie eine Figur, aus Ton geformt von unsichtbaren Händen. Joshua erkannte allmählich etwas, das aussah wie eine riesige Höhle. Die massiven Wände, von denen nur der untere Teil sichtbar war, verloren sich in der Ferne in Richtung einer unsichtbaren Decke, die in geheimnisvollem Zwielicht lag. Joshua war ganz allein in der riesigen Höhle. Er lief über den sich ständig verändernden Boden aus Sand und mit silbrigem Moos bedeckten Steinplatten und schien sich auf einen bestimmten Punkt in der Ferne zuzubewegen. Jedes Mal, wenn er sich auf diesen Punkt konzentrieren wollte, wachte er auf. Jede Nacht versuchte er es erneut und mit der Zeit kam er seinem Ziel näher und näher. Tagsüber grübelte er über den Traum nach, wurde zerstreut und konzentrierte sich nicht mehr richtig auf seine Aufgaben. Die Hühner im Stall sorgten sich langsam um ihn. Eines Nachts, während eines besonders lebhaften Traums, glaubte er, eine große Feder in der Ferne zu sehen. Aber beinahe augenblicklich war das Bild wieder verblasst, sodass er sich nur noch mehr danach sehnte, es wiederzusehen.
    In dieser Zeit begann er, häufiger und heftiger auf die Hennen loszupicken, als er es wollte.  Er verstand selbst nicht, warum er plötzlich so frustriert war. Seine täglichen Aufgaben bedeuteten ihm immer weniger und die kleinen Freuden, die er in der Regel im Laufe des Tages erlebte, wurden immer seltener und waren bald ersetzt durch ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. „Was hat das überhaupt für einen Sinn“, dachte er immer wieder. Die Hennen hätten schwören können, dass die Farben seines Federkleides in dieser Zeit an Glanz verloren und dass seine stolze und charismatische Ausstrahlung schon fast nicht mehr vorhanden war.
    Joshua wollte, dass der Traum aufhörte. Er wollte einfach seine Ruhe haben und nicht jede Nacht durch die endlose Weite der Höhle wandern, nur um sich langsam auf irgendetwas zuzubewegen, das für immer unerreichbar schien. Manchmal überlegte er während des Traumes, ob er nicht einfach umdrehen und in eine andere Richtung laufen sollte. Aber es schien keinen anderen Ort in der gewaltigen Höhle zu geben, den es sich aufzusuchen lohnte, als den, zu dem er unterwegs war.
    Irgendwann erreichte er einen Fluss, kristallklar und von tiefem Türkisblau. Eine Weile lief er ihn langsam entlang. Eines Nachts träumte er, dass er sich am Ufer niederlassen und sterben würde. Er würde seine Federn, sein Fleisch und Blut und seine Knochen einfach zurücklassen, ebenso wie seine Erinnerungen, seine Gedanken und alles, was ihn ausmachte. Doch so sehr er es auch versuchte, es klappte nicht. Und obwohl er sich mehr tot als lebendig fühlte, schien er nicht in der Lage zu sein, völlig aufzugeben.
    Und dann, in einer Nacht im tiefsten Winter, als das Land und die Hügel hinter dem Hof von frischem Schnee bedeckt waren und die Kälte mit eisigen Zungen in den Stall kroch, wurde das Bild in seinem Traum plötzlich klar. Er wusste, dass er noch einen weiten Weg vor sich hatte, aber er konnte nun die Höhlenwand erkennen. Er stellte fest, dass der hellere Farbton in der Wand, den er schon länger wahrgenommen hatte, in Wirklichkeit eine kleinere Höhle war. Ihre Decke strahlte einen leichten Schimmer aus, als befände sich hinter den dicken Mauern eine gewaltige Lichtquelle. Als er näher kam, sah er, dass das Licht die Wände nahezu durchsichtig machte. Und als er genauer hinsah, konnte Joshua kleine Fäden erkennen, die sich wie Adern durch den transparenten kristallenen Stein zogen. Das Licht beleuchtete die Höhle gerade genug, um erkennen zu können, was sich darin befand.
    Als er die Höhle betrat, die nur im Vergleich mit der
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